Wer sich in einem Buch wichtige Stellen gern anstreicht, hat hier viel zu tun. Denn Andreas Kappelers Abhandlung über das vertrackte Verhältnis von Russen und Ukrainern und ihre teils gemeinsame, teils gegenläufige Geschichte ist so dicht, dass jeder Satz volle Aufmerksamkeit verdient.

Kappeler, Professor emeritus für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien und Mitglied der Österreichischen und der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, hat zahlreiche Bücher über Russland und die Ukraine veröffentlicht. Er gilt als einer der besten Ukraine-Historiker des deutschsprachigen Raumes. Auch in seinem jüngsten Werk macht er aus seiner Sympathie für die Ukraine als eigenständige Nation mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur kein Hehl. Doch dies trübt keinesfalls seinen kritischen Blick.

Kappelers zentrale These: Russland und die Russen haben die Ukraine und die Ukrainer bis heute nicht als gleichberechtigte Partner akzeptiert und sich mit ihrer staatlichen Unabhängigkeit niemals abgefunden. "Der größere Bruder liebt seinen kleineren Bruder, der schön singt und tanzt, doch bevormundet er ihn und zwingt ihm seinen Willen auf. Will der Kleinere sich aus der Obhut des Größeren befreien, reagiert dieser heftig und versucht das mit allen Mitteln zu verhindern." Dabei verschweigt der Historiker nicht, dass auch die ukrainischen Eliten über die Jahrhunderte hinweg ihren Anteil an der Bevormundung durch den mächtigen Verwandten hatten.

Das Hauptmotiv Wladimir Putins für die bewaffnete Intervention in der Ukraine, die Annexion der Krim und die Schaffung zweier "Volksrepubliken" im Osten des Landes sieht Kappeler darin zu verhindern, "dass sich die Ukraine als ein den europäischen Werten verpflichteter Staat etablierte und stabilisierte". Die Ukraine hole die Revolution von 1989 nach und reihe sich in den Kreis der europäischen Nationen ein. Das müsse Europa endlich zur Kenntnis nehmen und danach handeln. (Josef Kirchengast, 26.9.2017)