Feng Liu, Maximilian Hauf, Henri Diagne und Yong Liu (von links) zeigen, dass extrem tolles Essen voll günstig sein kann.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Oktopus mit geräuchertem Paprika, schwarzen Bohnen und würzig-schillernder Kakaocreme – komplex, konzentriert, verstörend gut.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Zu diesem Lokal gibt es eine aktuellere Besprechung von Severin Corti vom 14.2.2020

Natürlich kann man nicht von allen Top-Gastronomen der Hauptstadt verlangen, mit solcher Hingabe und Können, mit so scharfem Sinn für Zahlen, selbstverständlicher Weltläufigkeit und schierer Lust am Wirtsein ans Werk zu gehen, wie das die Herrschaften vom neuen Birdyard vorzeigen. Aber die eine oder andere Scheibe werden sie sich hoffentlich davon abschneiden, jetzt, wo die Zukunft des leiwanden Essengehens auch in Wien begonnen hat.

In New York, London, Kopenhagen oder Paris kostet der Quadratmeter ein X-faches von dem in Wien, und auch die Gehälter der ausgehenden Klassen sind unvergleichlich höher. Dennoch sind Lokale mit zukunftsweisenden Konzepten und unwiderstehlichen Küchen da sehr oft solche, in denen man um vergleichsweise wenig Geld essen kann.

Dafür ist das Angebot in Hütten wie Abri in Paris, Taller in Kopenhagen oder 108 Garage in Westlondon begrenzt und wechselt ständig, die Lokale sind vergleichsweise unaufwendig hübschgemacht und so pausenlos bummvoll, dass sich am Ende des Tages selbst eine sehr kompetitive Kalkulation rechnet.

Exotische Cocktailbar

Das sollte doch auch in Wien möglich sein, haben sich die Brüder Liu gedacht, wenn sie aus Barcelona oder Hongkong, London oder Stockholm wieder in der Heimat landeten. Sie sind in Wien aufgewachsene Chinesen, die aus der elterlichen Hot-Pot-Hütte auf der Gumpendorfer Straße das köstlich brodelnde Szenelokal Mama Liu gemacht haben.

Für das Birdyard holten sie mit Tzou/Lubroth dasselbe Architektenteam wie damals ins Boot: Im Keller lockt eine exotische (und faszinierend gutsortierte) Cocktailbar mit surreal schönen, raumfüllenden Wandmalereien. Die zwei Restaurant-Obergeschoße sind in markantem Kontrast nüchtern gehalten – hier soll man nicht den Abend versumpern (dafür gibt es die Bar!), sondern sich an hochkonzentrierten Köstlichkeiten laben und den Tisch fix für die nächsten Bedürftigen freimachen. So gehört sich das in einer pulsierenden Großstadt.

China, Senegal, Deutschland

In der offenen Küche hat Henri Diagne das Sagen. Der Mann kommt je zur Hälfte aus Dakar und Nürnberg, hat in französischen Sternerestaurants ebenso gearbeitet wie im zu Recht legendären Essigbrätlein seiner Heimatstadt oder zuletzt bei Konstantin Filippou. Von dort hat er den jungen Maximilian Hauf (auch ein Nürnberger) mitgenommen. Gemeinsam schießen sie im Minutentakt Glücksbringer aus der Birdyard-Kombüse, die selbst abgebrühte Gutesser mit den Ohren schlackern lassen.

Burrata mit rauchig-fruchtiger Olivencreme und Bittersalaten zum Beispiel, die den cremigen Milchball zur süchtig machenden Herrlichkeit adeln, eindeutige Pflichtbestellung. Oder Lamm-Albondigas mit animierender, sauer-würziger Salsa und tiefgründigen Estragonaromen. Oder geschabtes Tatar, von kühner Direktheit, mit roh marinierter Roter Rübe und einer Idee sehr scharfen, frischen Kreneis' – grandios.

Oder Hendlragout mit knuspriger Hendlhaut und cremigem Stundenei, dazu ein Tiegel gemein buttrigen Erdäpfelpürees: Comfort-Food der höchsten Evolutionsstufe. Oder, siehe Bild, Oktopus mit geräuchertem Paprika, schwarzen Bohnen und würzig-schillernder Kakaocreme – komplex, konzentriert, verstörend gut.

Die Kaisergranaten samt ihrem Tatar in Zitrussalsa sollen unbeschrieben bleiben, die wird sich ohnehin keiner entgehen lassen, der seine fünf Sinne noch irgendwie beisammen hat. Auch sie kosten nämlich, wie alle anderen Gerichte auf der Karte, deutlich weniger als zehn Euro. Womit eines klar sein dürfte: Ohne Reservierung geht hier nix. (Severin Corti, RONDO, 29.9.2017)

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