Dieses Archivbild zeigt eine saudische Aktivistin im Jahr 2013. Sie hatte ein Video von sich am Steuer auf YouTube hochgeladen.

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Das Dekret, mit dem der saudische König das Autofahrverbot für Frauen im salafistisch-islamischen Königreich aufhebt, ist erstaunlich direkt. Da wird nicht lange herumgefackelt: Es gebe keine islamischen Gründe, die dagegen sprechen würden, dass Frauen chauffieren. Das Verbot habe keine Basis im Islam, und die "Mehrheit des Rats der Hohen Geistlichkeit" würde nun zu dieser "ursprünglichen" Rechtsmeinung zurückkehren. Lang hat es gedauert, das herauszufinden.

Dass dem Königshaus das Fahrverbot für Frauen international peinlich war – das Symbol schlechthin für die Unfreiheit von saudi-arabischen Frauen –, war bekannt. Es war eine Mischung aus Angst vor dem konservativen Klerus, der eine der tragenden Säulen der Macht der Familie Saud ist, und aus dem Status-quo-Denken der alten Könige, die die Entscheidung so lange hinauszögerte.

Was beim Blick aus dem Westen, der sich auf Dissidenten wie den liberalen Blogger Raif Badawi konzentriert, fast immer vergessen wird: Kreise, denen das Königshaus nicht zu islamisch, sondern viel zu wenig islamisch ist, gibt es nicht nur im Klerus, sondern auch in der Bevölkerung. Die Unzufriedenheit mit dem Verbot wurde vom Regime bisher als weniger gefährlich eingeschätzt als die Unzufriedenheit ultrakonservativer Kreise mit dessen Aufhebung.

Schizoide Realität

Dass sich das geändert hat, zeigt ein Satz in dem Dekret, in dem es heißt, dass das Verbot fällt, um die "Sicherheit der Gesellschaft" zu gewährleisten. Das Königshaus fühlt den Druck der "normalen" Leute. Und bei denen nehmen Frauen längst am wirtschaftlichen Leben teil und haben es satt, dass ihnen Prügel vor die Beine geworfen werden. Die international vernetzten Bürger und Bürgerinnen Saudi-Arabiens finden ihre schizoide Realität zunehmend lächerlich.

Dafür hat der junge Kronprinz Mohammed bin Salman – von dem man ja annimmt, dass er die Entscheidungen trifft, nicht sein Vater – gute Antennen. Er hat dem Land einen Modernisierungskurs verschrieben, der auch in anderen Bereichen beobachtbar ist, etwa darin, wie sich die Bürger – und Bürgerinnen! – in der Freizeit vergnügen dürfen. Seit kurzem sogar bei Konzerten und im Sportstadion.

Mohammed bin Salman schafft sich so eine Hausmacht, die ihn tragen soll, wenn er seinen Vater ablöst. Fast jeder rechnet damit, dass das noch vor dem Tod König Salmans sein wird. Für die saudischen Frauen freut man sich heute, und dem Kronprinzen wünscht man für sein Modernisierungsprojekt alles Gute. Aber einen Fehler sollte man nicht begehen: dieses Modernisierungsprojekt mit Demokratisierung zu verwechseln. Beobachter – wie der Publizist Jamal Khashoggi, der vor kurzem mit einem Artikel in der "Washington Post" endgültig mit dem Königshaus gebrochen hat – sprechen von mehr Repression als je zuvor. Saudi-Arabien ist nicht politisch freier geworden, weil Frauen chauffieren werden dürfen. (Gudrun Harrer, 27.9.2017)