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800 Seiten Daten hat Tinder in vier Jahren über die "Guardian"-Journalistin gesammelt.

Foto: Reuters

Laut EU-Datenschutzrecht haben Bürger Union das Recht, von Unternehmen die Aushändigung der über sie gesammelten Daten zu erhalten. Die "Guardian"-Journalistin Judith Duportail beschloss, unterstützt von der Datenschutzorganisation personaldata.io und einem Menschenrechtsanwalt, dieses Recht in Anspruch zu nehmen. Und zwar bei Tinder, der mit ihrem "Swipe"-Prinzip erfolgreichen Dating-App, die 50 Millionen Nutzer hat.

800 Seiten lieferten die Betreiber zurück. Und diese enthielten längst nicht nur Informationen, die man im eigenen Profil und dessen Einstellungen findet – wie etwa Beschreibungstext oder Facebook-Likes. Auch Fotos eines einst verbundenen und längst gelöschten Instagram-Accounts, Login-Zeiten, die statistische Altersvorliebe und sämtliche Chatprotokolle aller in vier Jahren erzielten 920 "Matches" waren darunter.

Hoffnungen, Ängste, sexuelle Vorlieben

"Ich bin entsetzt, aber nicht verwundert über diese Menge an Daten", sagt dazu der Datenwissenschafter Olivier Keyes von der University of Washington. Er erinnert aber daran, dass jede regelmäßig verwendete Smartphone-App ähnliche Sammlungen erzeugt. Wer hunderte Seiten bei Tinder fülle, stehe bei Facebook mit tausenden Seiten in der Datenbank.

Es sind vor allem die Chatprotokolle, die sensible Informationen preisgeben können. Beim Durchlesen habe sie "eine Reise durch ihre Hoffnungen, Ängste, sexuellen Vorlieben und intimen Geheimnisse" unternommen, schreibt Duportail. Doch auch mit automatisierter Auswertung kann Tinder viel über Nutzer erfahren. Wie lange sieht man sich ein Foto an, bevor man eine Entscheidung trifft? Wie stark sind verschiedene Ethnien unter den eigenen Matches vertreten? Welche Personen interessieren sich besonders für das eigene Profil?

Trügerische Sicherheit

Neben der Frage, ob Tinder eines Tages dazu übergehen könnte, diese Daten zu verkaufen, stellt sich auch die Frage der Sicherheit. Wenngleich das Unternehmen natürlich betont, hohe Sicherheitsstandards zu pflegen, heißt es auch in den Datenschutzbedingungen: "Sie sollten nicht davon ausgehen, dass ihre persönlichen Informationen, Chats oder andere Kommunikation immer sicher sind."

Eine Warnung, die berechtigt ist. Per Algorithmus hat etwa ein Entwickler erfolgreich 40.000 Profilfotos von der Plattform abgegriffen und als "Lernmaterial" für künstliche Intelligenzen zur Verfügung gestellt. Zuvor hatte schon ein dänischer Forscher, der von manchen als "Rassist" bezeichnet wird, 70.000 Profile der Datingplattform Ok Cupid offengelegt. Er wollte einen Zusammenhang zwischen Religionsbekenntnis und Intelligenz ermitteln. Ok Cupid gehört der Match Group, die auch der Mutterkonzern von Tinder ist.

Keine Auskunft zur Verwendung

Doch wozu benötigt Tinder diesen Datenberg? Einerseits gibt man an, die Informationen für die Anzeige individualisierter Werbung zu verwenden, so wie es auch Facebook, Google und andere Unternehmen tun, die ihre Dienste kostenlos bereitstellen. Andererseits – und auch dieses Prinzip findet man bei den genannten Anbietern – werden sie verwendet, um den eigenen Dienst zu personalisieren.

Die Daten sollen also dazu beitragen, dass Nutzern für sie möglichst interessante Kandidaten für Freundschaft, Beziehung oder Techtelmechtel angezeigt werden. Was genau ausgewertet und wie es eingesetzt wird, verrät man bei Tinder nicht und verweist darauf, dass es sich um "einen Kernbestandteil unserer Technologie und unseres intellektuellen Eigentums" handle.

Der Einfluss der Daten

Tinder ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs, erklärt dazu Paul-Olivier Dehaye von personaldata.io. Die Gesellschaft wird insgesamt immer "transparenter", und elektronisch gesammelte Daten haben immer größeren Einfluss – von Jobangeboten auf Linkedin über die Höhe der Kfz-Versicherung bis hin zur Möglichkeit, einen Kredit aufzunehmen. "Irgendwann wird unsere gesamte Existenz davon betroffen sein." (red, 27.9.2017)