Die Zahl der Bezieher von Mindestsicherung in Wien hat sich von Jänner 2016 auf August 2017 um 8.343 Personen erhöht. Zuletzt blieb der Anstieg aber stabil.

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Bürgermeister Michael Häupl, Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, Sozialstadträtin Sandra Frauenberger und die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein (von rechts).

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Im Programm von Kurz gebe es "Milliardengeschenke für die Reichen, während man den Ärmsten ihren Bettel auch noch kürzen will. Das ist unerträglich", sagt Häupl.

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Wien – Mitten im Nationalratswahlkampf für ihre Parteien rückten Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou am Mittwochabend gemeinsam aus, um die Wiener Entscheidung gegen Kürzungen und Deckelungen bei der Mindestsicherung zu verteidigen. Die von der Stadtspitze vereint vorgebrachte Botschaft war deutlich: ÖVP-Chef Sebastian Kurz solle aufhören, "Schwachsinn" zu verbreiten, sagte Vassilakou.

Gemeint waren die Attacken von Kurz auf seine rot-grün geführte Heimatstadt Wien. "Es muss Schluss sein damit, die Probleme schön zu reden und zuzudecken", hatte Außen- und Integrationsminister Kurz unter anderem gesagt. Die Zuwanderung müsse reduziert und die Integrationspolitik in Wien verändert werden. Wiener würden sich überlegen umzuziehen, "weil sie sich in ihrer Gasse mittlerweile etwas fremd fühlen", sagte Kurz.

Kurz mache "Milliardengeschenke für die Reichen"

Häupls Konter: "Wir lassen uns von einem Herrn Kurz sicher nicht beschimpfen." Im Programm von Kurz gebe es "Milliardengeschenke für die Reichen, während man den Ärmsten ihren Bettel auch noch kürzen will. Das ist unerträglich."

Vassilakou sowie die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein verwiesen auf geplante berufsfördernde Maßnahmen und die verstärkte Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice, um Menschen aus der Mindestsicherung zu bekommen. Das neue Wiener Mindestsicherungsgesetz befindet sich in Begutachtung und soll mit Jahresbeginn 2018 in Kraft treten.

Für Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) kann sich Wien keine Kürzungen beim untersten sozialen Netz leisten, um den sozialen Frieden und die Sicherheit in der Stadt nicht zu gefährden. "Davon profitieren auch die Reichen", sagte Frauenberger.

Gemeinsam legten SPÖ und Grüne Zahlen zur Mindestsicherung vor. Demnach hat sich die Zahl der Bezieher zuletzt stabilisiert (siehe Grafik). Von August 2016 auf August 2017 betrug der Anstieg 1.471 Personen. Insgesamt erhielten in diesem August 144.177 Personen diese Form des Sozialgelds. Nur rund zehn Prozent beziehen die volle Höhe (844,46 Euro).

Massiver Anstieg bei Asylberechtigten

Problematisch bleibt aber der massive Anstieg bei den Beziehergruppen der Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten. In nur einem Jahr bis August 2017 nahm deren Zahl von 35.034 auf 44.200 zu, das ist ein Plus von 9.166. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl österreichischer Bezieher von 75.461 auf 70.858 ab, laut Stadtregierung ist das der guten Arbeitsmarktlage geschuldet.

Asylberechtigte können vorerst nicht davon profitieren, weil sie vielfach erst fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden müssen. Das erhofft sich die Stadt durch berufsfördernde Anreize zu erreichen. Von einer Entspannung kann aber nicht gesprochen werden, da tausende Flüchtlinge noch auf ihre Asylentscheidung warten. Für den Großteil der Asylberechtigten heißt es dann, dass sie von der Grundversorgung zunächst in die Sozialleistung Mindestsicherung rutschen.

Dimension laut Häupl überschaubar

Der Umgang mit den Flüchtlingen ist für Häupl "eine Herausforderung, keine Frage". Aber die finanzielle Dimension sei nicht so problematisch. So machte die Mindestsicherung in Österreich mit zuletzt rund einer Milliarde Euro im Jahr laut Frauenberger 0,5 Prozent aller Staatsausgaben aus. "Damit wird kein Budget saniert", meinte sie zu den Kürzungen etwa in Nieder- und Oberösterreich.

Kritisch wird die Entwicklung bei jungen Mindestsicherungsbeziehern eingeschätzt. Im Jahr 2016 waren von insgesamt knapp 200.000 Beziehern bereits fast 90.000 Kinder, Junge und Jugendliche – 10.000 mehr als 2015. Auch hier sollen Ausbildungs- und Beschäftigungsanreize dabei helfen, arbeitsfähige Jugendliche in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Im Budget 2017 wurden in Wien 700 Millionen Euro für die Mindestsicherung veranschlagt. Das dürfte sich nicht ganz ausgehen, ließ Frauenberger bereits vor ein paar Monaten durchklingen. Eine genaue Prognose könne aber noch nicht getroffen werden, sagte die Sozialstadträtin. Eine Berechnung, "mit der wir", so Frauenberger, "auch arbeiten können", erarbeitet derzeit die zuständige MA 40. Hier sei man bisher "relativ schlecht" aufgestellt gewesen.

Signale nach innen

Der gemeinsame Auftritt von Häupl und Vassilakou sendet mitten im Wahlkampf auch deutliche Signale nach innen. So hatte zuletzt SPÖ-Nationalratsabgeordneter Harald Troch, der auch Bezirksparteiobmann in Wien-Simmering ist, von Häupl ein klares Bekenntnis zum Aus für Rot-Grün noch vor der Wahl gefordert. Zudem müsse die Sogwirkung bei der Mindestsicherung beendet werden. Häupls Antwort: "Mit dem, was Troch gesagt hat, kann ich nicht leben."

ÖVP sieht Realitätsverweigerung

Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel attestierte Rot-Grün hinsichtlich der Aussagen zur Mindestsicherung "Realitätsverweigerung in Reinkultur". Die Mindestsicherung in Wien sei "längst zum bedingungslosen Grundeinkommen verkommen". In Wien würden 20 prozent der österreichischen Bevölkerung leben, aber 60 Prozent der Bezieher. Ein Anspruch auf Sozialhilfe solle erst dann bestehen, "wenn zuvor auch einige Jahre in das System einbezahlt wurde". (David Krutzler, 28.9.2017)