Diese Woche findet in Wien die 1. Europäische Lesbenkonferenz statt, Mariella Müller ist eine der Organisatorinnen. Ihre Wohnung in Ottakring hat sie gemietet, ohne sie zuvor besichtigt zu haben.

"Das Interesse an der Konferenz wird immer größer, der Bedarf scheint riesig zu sein, ich bin überwältigt. Das ist gut für die Sache, weil es sehr wichtig ist, dass lesbische Frauen in der Politik und im Alltag sichtbarer werden. Aber zugleich sehne ich mich in dieser exponierten Zeit umso mehr nach Rückzug und Privatsphäre. Und jetzt sind Sie da ... ein Journalist, eine Fotografin und 100.000 Leserinnen und Leser in meiner Wohnung.

"In der Siebzigerjahre-Küche in meinem Tiroler Elternhaus hat immer die Sonne geschienen." Mariella Müller in ihrer WG in der Nähe des Wiener Brunnenmarktes.
Foto: Lisi Specht

Eine Freundin von mir hat gesagt, ich muss aufräumen. Eine andere hat gesagt, ich soll eine sympathische Lesbe sein! Ich habe mir beide Ratschläge zu Herzen genommen. Wohnen ist für mich in erster Linie eine Frage der Lage. Ich bin hier mitten in Ottakring, nicht weit vom Yppenplatz entfernt, wo ich wahnsinnig gerne bin, weil es dort gute Lokale und eine wunderbare, komplett durchgemischte Multikulti-Stimmung gibt. Außerdem gibt es da einen Bauernmarkt, der mich an mein Heimatdorf in Tirol erinnert.

Die Wohnung hat 80 Quadratmeter und befindet sich im zweiten Stock eines ganz unaufregenden, sockelsanierten Gründerzeitbaus. Ich wohne hier gemeinsam mit einer Mitbewohnerin, weil ich immer schon der WG-Typ war. Eingezogen bin ich vor zehn Jahren mit zwei Freundinnen. Jede in ihre Wohnung. Die eine wohnt vis-à-vis, die andere einen Stock über mir. Das war eine Hauruckaktion, weil wir die Wohnungen durch Zufall gefunden haben und ich 48 Stunden Zeit hatte, mich dafür oder dagegen zu entscheiden.

Fotos: Lisi Specht

Ich habe mir zwar das Haus und die Kastanienallee anschauen können, kannte auch den Wohnungsgrundriss, konnte die Wohnung aber nicht in natura besichtigen. Es war ein Risiko. Aber ich bereue die Entscheidung nicht im Geringsten. Offenbar bin ich diesbezüglich unkompliziert.

Ich fühle mich hier wahnsinnig wohl und schätze vor allem das Zu-zweit-Wohnen und den täglichen Austausch – wenn man sich am Ende des Tages die guten und die schlechten Erlebnisse mitteilt und ein Gehör für das eigene Leben findet. Mit den Nachbarinnen pflegen wir lockeren freundschaftlichen Kontakt. Wir haben die Wohnungsschlüssel voneinander, und wenn die eine etwas braucht, dann kümmert sich die andere drum – und umgekehrt.

Was die Einrichtung betrifft, muss ich sagen, dass ich praktisch veranlagt bin. Möbel müssen in erster Linie funktionieren und nur in zweiter Linie schön sein. Lieber gebe ich mein Geld fürs Reisen aus. Ich war schon wandern in Marokko und Georgien und träume von einer Wanderreise durch Kirgistan. Wenn ich hier etwas verändere, dann sind das in der Regel Null-Euro-Maßnahmen. Manchmal werden mir Möbel geschenkt, manchmal finde ich sie auf der Straße. Das ist ressourceneffizient und nachhaltig.

Fotos: Lisi Specht

Ich habe schon Balkonstühle, Hocker und Beistelltische gefunden. Einmal dachte ich mir: Ich bräuchte neue Pfannen! Am nächsten Tag hat irgendwer im Haus seine neuwertigen Pfannen im Stiegenhaus zur freien Entnahme abgelegt. Das Schicksal meint es gut mit mir. Wenn ich ganz fest an etwas denke, dann passiert’s. Dafür verschenke ich demnächst meinen Schlafzimmerschrank.

Meine Lieblingsecke ist die sonnenblumengelbe Küche. Sie erinnert mich an die Siebzigerjahre-Küche in meinem Tiroler Elternhaus. Das ganze Haus war dunkel eingerichtet, aber in der Küche hat immer die Sonne geschienen.

Für die Zukunft wünsche ich mir erstens eine gut besuchte Lesbenkonferenz, zweitens einen neuen Küchentisch aus altem Holz und drittens – für irgendwann – ein Haus mit Garten und vielen alten Bäumen. Dann würde ich sogar anfangen zu garteln. (2.10.2017)