Der steirische Komponist Christian Muthspiel über die Arbeit für Ö1: "Das war wahrlich ein intensives Jahr! Ich habe über Monate täglich ein Stück geschrieben, instrumentiert und notiert."

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Wien – Demnächst ist der vielseitige Posaunist, Pianist und Komponist Christian Muthspiel auf Tournee. Mit Weltbassist Steve Swallow bereist er den deutschsprachigen Raum, unter anderem sind Brucknerhaus, Salzburgs Festival "Jazz and The City" und das Wiener Porgy & Bess dabei, weshalb es nicht ausgeschlossen ist, dass sich Muthspiel auf der langen Fahrt durch Radiokonsum die Zeit vertreiben wird. Landet er bei Ö1, könnte er (ab 1. Oktober) ganztägig aber seine Musik hören. Muthspiel hat 200 Signations (plus unzählige Varianten) ersonnen. Jene von Werner Pirchner gehen in Pension.

Recherchen zum Ö1-Projekt bestanden auch aus Autofahrten durch Italien. Bei solchen wäre Muthspiel mitunter vor Entsetzen fast in den Graben gefahren – dermaßen erschütternd wirkten die Musikhäppchen, mit denen Sendungen angebahnt wurden: "Es waren nicht nur schrecklich banale, schlecht gemachte Jingles. Auch wie Wortbeiträge, Signations und Musikstücke aneinandergeklebt wurden, war ohne Sinn für Timing, Atem oder Dramaturgie. Das hat doch aggressiv gemacht, war aber kein rein italienisches Phänomen." Ö1, das am Sonntag seinen 50er feiert, klang für Muthspiel schon früher anders. "Da ich in einer musikalischen Familie aufgewachsen bin, war Ö1 quasi der 'Soundtrack meiner Kindheit'. Zu 'Du holde Kunst' bereitete meine Mutter das Sonntagsfrühstück; später hat mich Walter Richard Langer zum Jazz verführt, Cortis 'Schalldämpfer' war ebenso eine Lieblingssendung wie 'La Chanson' oder die Gespräche mit Peter Huemer."

Täglich eines

Beim Schreiben der Signations – er brauchte dafür ein Jahr – ergab sich ein seltsamer Rhythmus: "Ich habe über Monate täglich ein Stück geschrieben, instrumentiert und notiert. Nach dem Frühstück ging es direkt an den Komponiertisch. Und wenn es gut ging, gab es nachmittags oder abends eine kleine Teilernte. Wenn nicht, musste das am nächsten Tag kompensiert werden. Es war natürlich schön, fast täglich mit einem Stück fertig geworden zu sein – das ist im Vergleich zu langen Orchesterwerken, an denen man viele Monate sitzt, schon eine deutlich höhere Frequenz an Erfolgserlebnissen."

Für die Ö1-Kennsignation wählte Muthspiel D-Dur, "weil das eine Tonart ist, in der die Streicher aufgrund der mitschwingenden leeren Saiten und ihrer Obertöne sehr gut klingen und natürliche Flageoletts vorkommen, die eben auch nur in bestimmten Tonhöhen zur Verfügung stehen. D-Dur ist ein heller, freundlicher Orchesterklang."

Sehr viele Hörer

Die alte Senderkennung, der "berühmte Bratschen-Dreitonschritt aus Quint und Quart, also c-g-c', wird – als Reverenz Werner Pirchners – zur Bassstimme der neuen Kennung. Deren Thema im Dreivierteltakt ist wiederum das Material aller 200 Kompositionen. Es steckt als Haupt-, Neben-, Mittelstimme, als Bass, Spiegelung, Krebs – vollständig oder fragmentiert – in jedem der Stücke."

Beim Aufnehmen war das von Muthspiel dirigierte RSO-Wien sehr hilfreich. "Da es keine Elektronik gibt, sind die Ö1-Signations auch im internationalen Kontext etwas Besonderes. Es gibt knapp 70 Orchestersignations und 130 in Kleinbesetzungen, ohne Sample oder Synthie", so Muthspiel, dem eine Jazzsignation eher schwerfiel. "Mit der 'Jazznacht' habe ich mich schwergetan. Jazz kann so vieles sein. Schließlich kam mir die Idee, sie Joe Zawinul zu widmen und etwas im Gestus seiner Band Weather Report zu schreiben."

Als Hörer wird Muthspiel womöglich in den nächsten 20 Jahren immer mit sich selbst konfrontiert sein – schlimm? "Das kann ich noch nicht abschätzen. Jetzt freue ich mich, dass das Baby da ist. Es hat eine Reichweite, die du als zeitgenössischer Komponist sonst nie hast – jeden Tag über 600.000 Hörer!" (Ljubiša Tošić, 29.9.2017)