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Das große Rechnen: Zahlt es sich aus, noch vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung von der Lebensversicherung bei mangelhafter Belehrung zurückzutreten?

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Wien – Das geplante Gesetz zur einheitlichen Regelung der Rücktrittsrechte bei Versicherungen soll für Konsumenten und Assekuranzen "eine Rechtssicherheit schaffen, die es derzeit nicht gibt", sagt Othmar Ederer, Vorsitzender des Vorstandes der Grawe-Vermögensverwaltung und Präsident des Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO). Die Aufregung um das Gesetz versteht er nicht. Denn ein wesentlicher Punkt für die entstandene Problematik ist "das Auseinanderklaffen von europäischem und österreichischem Recht und der damit immer neuen Judikatur".

Rückblende: 1992 hat die EU die dritte Versicherungsvermittlerrichtlinie auf den Weg gebracht, die die Rücktrittsrechte regelt. Damals war Österreich noch nicht Mitglied der EU, die Richtlinie wurde aber bis heute nicht in nationales Recht gegossen. Somit haben die Versicherer nach heimischem Recht bisher richtig über den Rücktritt (innerhalb von 14 Tagen) belehrt – europarechtlich gesehen (30 Tage) aber inkorrekt.

"Das wäre nie aufgefallen, wenn der EuGH 2013 in einem Musterverfahren nicht für den uneingeschränkten Rücktritt entschieden hätte", sagt Sachverständiger Oliver Lintner. Gestützt auf die daraus resultierende Judikatur ist ein Run auf Rücktritte entstanden.

Neue Sammelaktion

Einige Anwälte haben sich auf das Thema spezialisiert, Konsumentenschützer haben Sammelaktionen ins Leben gerufen. Nun startet die Plattform Cobin Claims eine Sammelaktion, um vor Inkrafttreten des Gesetzes (läuft alles glatt, kommt es im Dezember) die alte Rechtslage abzusichern.

Das muss aber nicht immer gut ausgehen, sagt Manfred Rapf, Generaldirektor der Sparkassen Versicherung AG Vienna Insurance Group. "Denn das EuGH-Urteil, auf das sich viele berufen, gibt nur dem geklagten Einzelfall recht", sagt Rapf. Ob die Argumente der Anlegeranwälte vor Gericht halten, sei dahingestellt. Es könnte auch sein, dass sie nicht den erhofften Mehrwert für ihre Klienten erzielen. Ausgelassen werde bei der Kritik am Gesetz zudem das Faktum, dass mit der Verteilung der Abschlusskosten von bisher fünf auf nun zehn Jahre die Konsumenten auch eine Besserung erfahren würden.

Zudem haben laut Rapf viele Versicherer bereits von 14 auf 30 Tage umgestellt. Er spricht daher von Formfehlern, die in Rechtsunsicherheit münden. "Dass daraus ein Geschäftsmodell geworden ist, ist zu hinterfragen", so Rapf.

Altverträge belasten

Derzeit macht ein Rücktritt wirtschaftlich in vielen Fällen Sinn, weil die bei einer Rückabwicklung eingeräumte vierprozentige Verzinsung auf die einbezahlten Prämien den Wert der Polizze oft übersteigt. Denn auf dem Tisch liegen sollen vor allem Verträge aus den Jahren 2007 bis 2012, also aus einer Zeit, in der die Finanzkrise zu massiven Verwerfungen an den Börsen geführt und eine Nullzinspolitik mit sich gebracht hat. Kein leichtes Umfeld für die Versicherer.

Bleiben die Zinsen niedrig, wird das zum Problem. Von der Politik sollte daher geklärt werden, "ob man bei der Lebensversicherung vom Umlageverfahren auf ein kapitalgedecktes System wechselt", sagte Generali-Chef Alfred Leu Mittwochabend bei einer Diskussion des Finanzmarketingverbands zum Thema: "Muss sich die österreichische Versicherungswirtschaft neu erfinden, um zu überleben?" DER STANDARD war bei dieser Veranstaltung Medienpartner.

Nowotny für Neuregelung

Ewald Nowotny, Gouverneur der OeNB, befürwortet die Gesetzesänderung. Ökonomisch gesehen müsse berücksichtigt werden, dass es hier nach langer Zeit plötzlich zu neuen Regelungen kommt und es zu zufälligen Gewinnern und Verlierern kommen kann beziehungsweise zur Einladung, damit zu spekulieren. Der Konsumentenschutz sei ein hohes Gut, man müsse aber aufpassen, dass der Schutz des Einzelnen nicht dem Gesamtsystem schadet. In diesem Zusammenhang sieht Nowotny auch den Wunsch nach Sammelklagen kritisch.

Liane Hirner, Partnerin beim Wirtschaftsprüfer PwC, sieht die Versicherer gut aufgestellt. Der Garantiezins sei früher gesenkt worden als in Deutschland. Auch die Vorgabe der Aufsicht, Gewinne nicht zu verteilen, sondern zur Seite zu legen, um zukünftige Versprechungen abdecken zu können, stabilisiere.

FMA-Vorstand Helmut Ettl wünscht sich mehr Innovationen von den Versicherern. Denkbar ist für ihn, dass Versicherungen Wohnbau mitfinanzieren. Auch in Ausbildung oder Kompetenzzentren könnten sie investieren und Absolventen zu Rückzahlungen verpflichten. Denkbar seien auch fondsgebundene Lebensversicherungen mit Generationenvertrag. (Bettina Pfluger, 29.9.2017)