Vassilissa Reznikoff als Karel-Capek-Theaterfigur im Wiener Schauspielhaus: Willkommen im Reich der Zukunft, wo der Lehm spritzt und die Roboter uns Menschen kassieren.

Foto: Heschl/Schauspielhaus

Wien – Ein höchst verwegener Lösungsansatz für die Probleme am Arbeitsmarkt stammt aus der jüdischen Kabbala. Ein Rabbiner namens Löw formte einer Legende aus dem 12. Jahrhundert zufolge aus einem Klumpen Lehm den Golem. Dieser ungeschlachte Riese bildet den Vorläufer aller modernen Arbeitssklaven. Er ist ein "Erdkeim", geknetet aus "weichem Ton", wie es im Wiener Schauspielhaus einmal heißt.

Schauspielhaus Wien

Mehr noch als der technische Aspekt zählt bei der Erschaffung des ehrenamtlichen Leibeigenen die theologische Pointe. Der Mensch, ohnehin gekränkt durch die Skandale von Krankheit und Zeitlichkeit, pfuscht dem Schöpfungsgott erfolgreich ins Handwerk. Es ist daher kein Wunder, dass die Performance Golem oder Der überflüssige Mensch mit der biblischen Genesis startet. "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde ...", und man denkt in der Wiener Porzellangasse metaphysisch erleichtert: Siehe da, Gott wird in seine alten Herrschaftsrechte eingesetzt.

Runder Wasserspiegel

In der Mitte des Schauspielhauses steht ein quadratisches Podest. Auf diesem suppt und schwappt ein runder Wasserspiegel. Zwei junge Herren und eine Dame stellen umständlich Kübel mit Lehmmasse bereit, ehe sie (bekleidet mit den hellen Strümpfen der Aufklärung) den Kubus erklettern.

Über ihren Häuptern schwebt eine – freilich eckige – Käseglocke. Über deren transparente Wände flimmern während der 85 Minuten, die dieser einlullende, das Gehirn lähmende Schöpfungsprozess währt, die Wärmerasterbilder von Robotern. Irgendwie führt in dieser szenischen Erfindung von Regisseur Gernot Grünewald der Pfad der Evolution vom Golem zum handelsüblichen Roboter. Von diesem soll es wiederum nur ein kleiner Sprung sein zur computergestützten Superintelligenz, die für uns Menschen wegen unserer erwiesenen Hinfälligkeit nur Hohn und Spott übrig hat.

Vom Golem wird der Zuschauer auf den Autor Karel Capek gebracht. Dessen Roboterstück Rossum's Universal Robots kommt ausführlich zu Wort. Als weitere Hirnfutterlieferanten fungieren Stanislaw Lem und ein kurioser Propagandist der biologischen Unsterblichkeit namens Ray Kurzweil. Der Abend selbst gleicht leider einer Party von Billigrobotern, auf die man zwar eingeladen worden ist, auf der man sich aber auch blendend langweilt. Die Rezitatoren sind alsbald die Angeschmierten. Das Bewegungsvokabular orientiert sich überwiegend am Stechschritt.

Schwacher Auftakt

Die drei Schauspieler bleiben anonym, die Schauwerte sind auffallend diskret (Ausstattung: Michael Köpke). Die Akteure verfallen in einen rezitativischen Sprechgesang, der daran denken lässt: Auch Roboter besuchen sonntags wohl die Kirche.

Der von einem Teil des Publikums frenetisch gefeierte Abend lässt uns Menschen aus Fleisch und Blut komplett unerlöst zurück. Jedes Plingplong-Liedchen von Kraftwerk enthält bessere futuristische Geschmacksstoffe. Ein schwacher Schöpfungsauftakt am Wiener Schauspielhaus. (Ronald Pohl, 29.9.2017)