Wien – Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und der Terrorexperte Peter Neumann haben am Freitag in Wien vor einem Zuwachs an Radikalisierung in Europa gewarnt: Die Bedrohung durch Terrorismus "wird uns noch viele, viele Jahre beschäftigen", sagte Neumann. Und auch wenn der IS in Syrien und im Irak Gebiete großteils wieder verloren hat. Ein Ende des IS könne "uns mehr Terrorismus bescheren".

Für die steigende Terrorgefahr nannte Neumann vier Gründe: Die IS-Anhänger – auch aus Österreich -, die den Kampf in Syrien und im Irak überlebt haben, würden nun bestens trainiert, brutalisiert und international gut vernetzt zurückkehren. Die neue Strategie der Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) sei es, Anschläge in Europa zu bewerben. Propagiert würden dabei immer einfacher und billiger auszuführende Taten, die auch schwerer zu verhindern seien. Und es würden anstelle des IS wahrscheinlich andere gefährliche Gruppierungen entstehen. "Langfristig ist es wichtig, das sogenannte Kalifat zu zerstören, aber die Sicherheitssituation wird damit nicht unmittelbar einfacher." Besiegt könne die Organisation zwar werden, aber "nicht die Bewegung".

Am Freitag wurde eine Studie zum Thema Radikalisierung und gewaltsamer Extremismus veröffentlicht. Der Experte rät zu Deradikalisierungsmaßnahmen und digitaler Vernetzung für die Präventionsarbeit. Beitrag aus der ZiB1.
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Der deutsche Forscher vom Londoner King's College stellte am Freitag einen Bericht zum Thema Radikalisierung und gewaltsamem Extremismus den 57 Mitgliedsländern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vor. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom derzeitigen OSZE-Vorsitzenden Sebastian Kurz. Der Außenminister erklärte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Neumann, dass "Radikalisierung und Extremismus eine immer größere Gefahr für Sicherheit und Stabilität in Europa" darstelle. Es gebe unterschiedliche Formen: Islamistischer Terror, Terrororganisationen wie die kurdische PKK, aber auch links- und rechtsextreme Gewalt. 2016 fielen mehr als 1.000 Menschen in den OSZE-Mitgliedsstaaten terroristischer Gewalt zum Opfer, betonte Kurz.

Kurz erklärte: "Klares Ziel ist, die Radikalisierungsnetzwerke im OSZE-Raum auszuschalten". Es gebe rund "10.000 sogenannte Foreign Terrorist Fighters, die sich aus dem OSZE-Raum auf den Weg gemacht haben, um in Syrien und im Irak zu vergewaltigen, zu morden und andere Gruppen wie Minderheiten, Religionsgemeinschaften auszulöschen", so Kurz. Ungefähr 20 bis 25 Prozent der Menschen, die nach Syrien gegangen seien, seien gestorben, ergänzte Neumann. 40 bis 50 Prozent hielten sich noch in der Region auf, und nur ein Drittel sei zurückgekehrt oder gerade dabei zurückzukehren.

Ein einziges Instrument gegen Terror gebe es nicht, meinte Neumann. Die OSZE sei "nicht die Antwort, aber eine von vielen Antworten". Der Sonderbeauftragte spricht der OSZE "einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen gewaltsamen Extremismus und Radikalisierung" zu. Vor allem die Konfliktpräventionsarbeit der Organisation spiele eine große Rolle, da bewaffnete Konflikte Radikalisierung begünstigten. Die OSZE sei darüber hinaus in Zentralasien und am Westbalkan "stark" und habe "gut funktionierende Missionen". In diesen "strategisch wichtigen Regionen" sollte sie eine Koordinierungsrolle spielen, schlug Neumann vor. Und die OSZE sollte ein Dreh- und Angelpunkt für gute Ideen und Initiativen sein: Denn es gebe viele Projekte und Programme im OSZE-Raum.

Kurz nannte unterschiedliche Bereiche, wo im Kampf gegen Radikalisierung angesetzt werden müsse: Es "beginnt mit dem Internet", das kein Platz für die Vernetzung radikaler Kräfte sein dürfe. Weiters müsste in Schulen und Kindergärten aktiv daran gearbeitet werden, dass junge Menschen "nicht auf die falsche Bahn" geraten. Eine weitere Maßnahme betreffe die Deradikalisierung in Gefängnissen. Kurz forderte außerdem die islamische Gemeinschaft in Österreich bzw. gläubige Muslime allgemein auf, Terror zu verurteilen und zu schauen, dass in ihren eigenen Reihen kein Platz für Menschen sei, die versuchen, zum Extremismus zu verführen.

"Terrorismus bekämpft man nicht mit Parolen", erklärte Neumann. Es gehe "immer um die kleinen konstruktiven Schritte". In seinem Bericht werden verschiedene Projekte und Programme in den OSZE-Staaten genauer beleuchtet. Darin wird unteren anderen auch die österreichische Initiative "Derad" positiv erwähnt, die Straftäter, die wegen terroristischen Handlungen verurteilt wurden, deradikalisieren soll. Die NGO fördere zudem die Reintegration in die Gesellschaft beispielsweise durch Hilfe bei der Jobsuche und Bildungsangebote. Auch deutsche Präventionsprojekte, wie Hotlines und die Einbindung von Flüchtlingen, lobte Neumann als "interessant und innovativ".

Beim OSZE-Ministerrat am 7. und 8. Dezember soll dann über die umsetzbaren Maßnahmen diskutiert werden. Auf die Frage eines Journalisten, warum der Bericht kurz vor der Nationalratswahl und nicht erst vor der OSZE-Konferenz präsentiert wird, sagte Kurz, dass in der OSZE immer gearbeitet werden müsse, unabhängig von der politischen Situation und nationalen Besonderheiten in einzelnen Ländern. "Irgendwo wird immer gewählt", erklärte der ÖVP-Chef. Neumann betonte, dass von Anfang an vereinbart gewesen sei, dass er den Bericht Mitte September fertigstellen solle. (APA, 29.9.2017)