Die Europäer und ihre Regierungen sind Weltmeister bei politischen Absichtserklärungen, im Erstellen von Reformkonzepten für ihre Union. Die beliebteste Variante ist überhaupt die "große Vision". Wenn es aber um die Umsetzung gemeinsamer Politik geht, dann sieht es in der Regel traurig aus. Dann obsiegt nationaler Egoismus spielend über gemeinschaftliches Bewusstsein.

Außer viel Gerede und noch mehr Papier ist in den vergangenen sieben mageren Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise von den schönen Plänen zur Schaffung einer gestärkten EU nicht viel übrig geblieben.

Insofern hatte Ratspräsident Donald Tusk beim EU-Gipfel von Tallinn ganz recht mit der spitzen Bemerkung, dass es einen Eurovisions-Contest für Reformen gebe – aber keinen Hit, keine Ergebnisse. Mindestens sieben Konzepte für eine bessere EU liegen auf dem Tisch. Nach Jean-Claude Juncker hat der frische französische Präsident Emmanuel Macron seine umfangreichen Ideen vorgelegt.

Dennoch könnte das Jahr 2018 eine Wende bringen. Der Kurswechsel der USA, Druck aus China, vor allem aber der Austritt Großbritanniens werden die verbleibenden EU-27-Staaten in Zugzwang bringen. Milliardenschwere Budgetlücken sind zu füllen, das Sicherheitskonzept ohne Briten komplett neu zu überdenken. Nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland ist klar, wer die wichtigsten Player der nächsten Jahre sein werden. 2019 wird ein Reformjahr. (Thomas Mayer, 29.9.2017)