Zwei ähnliche Fälle, zwei unterschiedliche Behördenurteile.

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Um eines vorweg klarzustellen: Der Willkommenseuphorie vom Sommer 2015 bin ich von Anfang mit Skepsis begegnet. Monatelang ungeprüft Menschenmassen über die Grenzen strömen zu sehen und den Kontrollverlust des Staates zu erleben, hat mich geschockt, die Untätigkeit der EU zutiefst empört. Jene, die heute noch die Schließung der Balkanroute für falsch halten und für offene Grenzen plädieren, stoßen bei mir auf Unverständnis.

Aber inmitten des gesinnungsethischen Taumels von 2015 wollten meine Lebensgefährtin und ich ein wenig Verantwortungsethik zeigen. Nicht gleich die ganze Menschheit retten, sondern nur einem einzelnen Menschenkind helfen. Statt des syrischen Mädchens, an das wir dachten, sind es dann umständehalber gleich zwei afghanische Burschen geworden.

Eine Familie

Wir haben nicht im Geringsten geahnt, was da auf uns zukommt – von Zahnoperationen, Helicobacter-Keimen, Panikattacken, verlorenen Smartphones (keineswegs von der Caritas geschenkt, sondern billig gebraucht erworben) über Heimweh und Liebeskummer bis zum sagenhaften Stress mit den völlig überforderten Asylbehörden, Sozialstellen und Hilfsorganisationen. Trotzdem haben wir es keine Sekunde lang bereut. Die beiden gehören zu uns. Wir sind zu ihrer Familie geworden. Wir können ihnen vieles vermitteln, was uns wichtig ist: den Wert von Bildung zum Beispiel, Demokratie, Gleichberechtigung von Frau und Mann. Wir dürfen mit erleben, wie säkular denkende Europäer aus ihnen werden. Und wir lernen jeden Tag von ihnen: über die Welt, über andere Kulturen, über Menschen, die alle irgendwie gleich und doch so verschieden sind.

Wenn man zwei afghanisch-iranische Patensöhne hat, kann man auch aufschlussreiche vergleichende Einblicke in die Arbeit der österreichischen Asylbehörden gewinnen. – Ich sage afghanisch-iranisch, weil beide afghanischer Herkunft sind, aber im Iran geboren oder als Wickelkind auf der Flucht dahin gelangt und dort aufgewachsen, mit all den üblen Schikanen und menschenrechtswidrigen Diskriminierungen, der der iranische Staat für seine schiitischen Glaubensbrüder und -schwestern bereithält.

Gleichwertige Fälle

Beide sind um die zwanzig, beide teilen in etwa dasselbe Schicksal. Meine Lebensgefährtin und ich kennen ihre Geschichte bis ins Detail, und wir können versichern, dass sie sich in nichts unterscheiden, was für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und seine Entscheidung relevant wäre. Auch beim "Interview" (Befragung im Asylverfahren) haben sie nichts wesentlich Verschiedenes ausgesagt. – Und doch, einen Unterschied gab es: den befragenden Referenten. Der eine Referent freundlich und wohlmeinend, wenngleich streng und konsequent nachfragend. Der andere – das glatte Gegenteil. Missmutig, übelgesinnt, bösartig fast, alles als Nachteil wertend, was der erstgenannte Referent zum Vorteil des Befragten ausgelegt hätte.

Und so fiel dann auch das Urteil aus: BFA-Referent A gewährte Patensohn A subsidiären Schutz, BFA-Referent B stellt Patensohn B einen negativen Bescheid aus. – Nun, Sachbearbeiter sind auch nur Menschen und handeln menschlich. Aber man fragt sich doch, ob diese Behörde über keinerlei Richtlinien verfügt, wie in äquivalenten Fällen einheitlich vorzugehen sei?

Unterschiedliche Urteile

Folgende Varianten sind denkmöglich: 1) Zwar unmenschlich, aber folgerichtig wäre es, beide gleichermaßen nach Kabul abzuschieben, wo sie noch nie waren, wo auf beide gleichermaßen Ausbeutung, Hunger, Elend und Obdachlosigkeit warten. Denn irgendwelche Bekannten oder Verwandten, die sie unterstützen könnten, haben beide in ganz Afghanistan nicht. 2) Vernünftig, menschlich, sinnvoll im Interesse des Staates – denn sie werden fleißig arbeiten und ihre Steuern und Beiträge zahlen und unseren Wohlstand mehren – wäre es andererseits, beiden gleichermaßen subsidiären Schutz zu gewähren.

Aber den einen so, den anderen so zu behandeln, den einen dazubehalten, den anderen weg schaffen zu wollen – das ist unlogisch, unsinnig, verstörend. Das ist nicht rechtsstaatlich, das ist blanke Willkür.

Groteske Widersprüche

Ein Beispiel: Auf Seite 16 des Bescheides für Patensohn B heißt es apodiktisch in bestem Beamtendeutsch, dieser sei dazu imstande und es sei ihm zuzumuten, sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung und der Unterstützung seiner im Iran lebenden Angehörigen den Lebensunterhalt in Afghanistan zu sichern. Das stimmt nicht. Und wieso es nicht stimmt – abgesehen mal von den Angehörigen im Iran, die ihn wegen ihrer Armut in keiner Weise unterstützen könnten –, wird auf Seite 101f. desselben Bescheides ausdrücklich erklärt. Dort wird nämlich ein Bericht zitiert, wonach "typische rückkehrende Flüchtlinge" in ein Land zurückkämen, in dem sie "Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt" seien. Aufgrund von Millionen Rückkehrern aus Pakistan seien Wohnungs- und Arbeitslosigkeit weitverbreitet, heißt es hier.

Der Bescheid enthält noch weitere ähnliche groteske Widersprüche. Interessant ist aber vor allem ein Vergleich mit dem ungefähr zur selben Zeit erlassenen Bescheid für Patensohn A. Hier werden explizit die einleuchtenden Gründe angeführt, die für die Gewährung des subsidiären Schutzes sprechen. Was bei Patensohn A als Argument für die Schutzgewährung ins Treffen geführt wird, müsste nach allen Regeln der Logik auch für Patensohn B gelten. Wieso es das nicht tut, wissen nur Allah und Referent B.

Dutzende Schicksale

Unsere Patensöhne können von Dutzenden Schicksalen berichten, die sie aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis kennen. Sie erzählen Geschichten von Drogendealern und Messerstechern, die während ihres Gefängnisaufenthaltes nicht etwa den Abschiebebescheid, sondern vielmehr subsidiären Schutz erhalten. Sie wissen von solchen, die schon viele Jahre von der Mindestsicherung leben, kaum ein paar Brocken Deutsch beherrschen – gerade so viel als notwendig ist, um am Praterstern Cannabis zu verticken.

Sie kennen auch andere Geschichten: von Burschen, die sich – wie unsere Patensöhne – nie das Geringste zuschulden kommen ließen, die in kürzester Zeit die deutsche Sprache erlernt haben, die zur Schule gehen und sich eifrig bemühen, das nachzuholen, was sie in ihrer Kindheit nicht lernen durften, die hoffnungsvoll eine Ausbildung anstreben, nicht selten in einem Mangelberuf. Und trotzdem einen negativen Bescheid bekommen, weitere lange Monate des Berufungsverfahrens voll Angst und Ungewissheit durchstehen müssen, um dann irgendwann von einer Minute auf die andere von einer Polizeieskorte abgeholt zu werden. Kein Wunder, dass Suizide unter abgelehnten Asylwerbern immer häufiger werden.

Was das denn für einen Sinn hat, fragen mich meine Patensöhne. Wieso der österreichische Staat die Schlechten behält und die Guten, die Nützlichen rauswirft? – Und um ehrlich zu sein, das frage ich mich auch. (Kurt Bauer, 2.10.2017)