So spektakulär wie Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy muss man erst einmal damit scheitern, die Schwachstellen der Gegenseite auszunützen. Die längste Zeit fiel der Drang der Katalanen nach der Abspaltung derart gering aus, dass er aus Madrider Sicht ignoriert werden konnte. Er wuchs proportional mit der Unerbittlichkeit der Zentralregierung, die die Katalanen nicht beachtet hat, als diese noch das konstruktive Gespräch suchten. Und nun scheint für moderate Kräfte kein Platz mehr.

Zuerst hat Spaniens Premier einen rechtlichen Feldzug gegen die Separatisten gestartet. Dann hat er ihnen mit der Entsendung von Paramilitärs, die am Tag der Wahl wie fremde Besatzungsmächte überbordend aggressiv vorgingen, wertvolle Munition geliefert. Die Bilder wecken Erinnerungen an eine Diktatur, deren Ende nicht lange zurückliegt und zu der Rajoys Gegner nun Parallelen zu ziehen versuchen. Hunderte Verletzte bei einer Demonstration mitten in Europa sind eine Schande für Spaniens Regierung.

Härte wäre nicht notwendig

Die Härte wäre darüber hinaus schlichtweg nicht notwendig gewesen. Niemand kann am 1. Oktober allen Ernstes davon ausgegangen sein, dass die Ausrufung der "Republik Katalonien", eines neuen Staats zwischen Frankreich und Spanien, Realität wird. Nicht nur weil Madrid diesen nicht anerkennen, sondern auch weil er auf EU-Ebene keine Chance haben würde. Rajoy hat die Verfassung auf seiner Seite, sie sieht Spanien als unteilbares Land. Eine Mehrheit würde sich für eine Teilung in Madrid nie und nimmer finden lassen. Und ein generelles Recht auf Sezession existiert darüber hinaus auch nicht.

Rajoy hätte auch anführen können, dass das Argument, Spanien offenbare nun seine autoritären Züge, nicht haltbar sei: Seit dem Ende der Diktatur verfügen die Katalanen über ein hohes Maß an Befugnissen. Freie, transparente Wahlen haben sie seither bereits eine Menge gesehen. Hätte Rajoy aber den katalanischen Nationalisten zugehört, dann hätte er anerkennen müssen, dass selbst ihre Hardcore-Vertreter ja gar nicht für die Unabhängigkeit trommeln. Sie forderten "Selbstbestimmung" ein.

Mit dem Bauch statt mit dem Kopf gewählt

Und auf diesen legitimen Wunsch hätte Rajoy eingehen müssen. Jede Umfrage hat von jeher ergeben, dass es nicht die Abtrennung von Spanien ist, die sich die Katalanen sehnlich wünschen, sondern das Recht, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Weil sich dazu soziale Beweggründe mischten, kam am Ende heraus, was den Briten den Brexit eingebrockt hat und die Italiener um eine dringend benötigte Verfassungsreform gebracht hat: Die Katalanen wählten mit dem Bauch anstatt mit dem Kopf.

Will Madrid den Konflikt nicht weiter anheizen, dann führt kein Weg an Kompromissen vorbei. Ein erweiterter Autonomiestatus, wie ihn Spaniens Parlament 2010 abgesegnet hat, wäre ein solcher. Ermöglichen könnte ihn eine Verfassungsänderung. 2011 erfolgte eine solche, um die Schuldenbremse einzuführen. Den Frieden in Spanien und Europa zu garantieren erscheint nicht minder wichtig. (Anna Giulia Fink, 1.10.2017)