Ist einmal die Autorität eines Partei- und Regierungschefs beschädigt, dann geht Tag für Tag ein weiteres Stück davon verloren. Das bekommt auch Theresa May zu spüren, die seit der verunglückten Parlamentswahl im Juni als Premierministerin auf Abruf gilt. Bei den britischen Konservativen scheint sich niemand mehr darum zu kümmern, was die Chefin vorgibt.

Außenminister Boris Johnson schließt in einem Zeitungsinterview aus, dass die Übergangsfrist nach dem Brexit länger als zwei Jahre dauern und London danach noch etwas zahlen wird. Damit schränkt er Mays Spielraum bei den Verhandlungen mit der EU massiv ein. Andere Abgeordnete plädieren für einen Austritt ganz ohne Vereinbarung – und spekulieren über ein baldiges Ende der Ära May. Doch als ihr wahrscheinlichster Nachfolger gilt der Linksaußen-Labourchef Jeremy Corbyn – ein Zeichen für den katastrophalen Zustand der Tories.

Zugeständnisse oder Schaden

Schuld daran ist weniger Mays politisches Ungeschick als das Brexit-Votum an sich, das sich die Partei selbst eingebrockt hat. Es stellt die Regierung vor die Wahl, mit Zugeständnissen an Brüssel wirtschaftlichen Schaden abzuwenden – oder aber das Chaos eines "harten Brexits" in Kauf zu nehmen. May laviert zwischen den beiden Positionen und macht sich dadurch von allen Seiten angreifbar.

Der beste Ausweg wäre für sie, bei ihrer Rede am Mittwoch den Brexit-Hardlinern rund um Johnson eine klare Abfuhr zu erteilen. Sie müsste der Partei und ihren Wählern klarmachen, dass die Briten das Joch der europäischen Integration nicht völlig abschütteln können, wenn sie einen hohen Lebensstandard und Frieden in Nordirland behalten wollen. Bleibt May allerdings bei ihrer Sprache der leeren Slogans, dann wird ihre Regierung auch am Verhandlungstisch nichts weiterbringen. Und das wird ihre innerparteilichen Gegner zu weiteren Angriffen ermutigen. (Eric Frey, 1.10.2017)