Die Kampagne von ÖVP-Chef Sebastian Kurz läuft, die von Kanzler Christian Kern weniger.

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Stellen Sie sich, lieber Leser, liebe Leserin, zwei Parteien kurz vor einer Wahl vor. Beide machen sich daran, ihre Wahlkampagnen auszurollen. Plakate werden affichiert, Inserate geschaltet, Betriebe besucht, Straßenwahlkämpfer mobilisiert, TV-Auftritte geprobt und die Social-Media-Aktivitäten auf Touren gebracht. Die beiden millionenschweren Wahlkampfmaschinen sind voll am Laufen.

Bloß: Bei einer der beiden Kampagnen geht alles schief, was schiefgehen kann. Zuerst hört man von internem Zwist, der Kampagnenmanager geht. Danach wird ein internationaler Berater wegen dubioser Geschäfte verhaftet. Mitten im Wahlkampf ändert man den vielkritisierten Slogan und auch gleich die gesamte Werbelinie. Kurz darauf werden im Boulevard interne Dokumente mit wenig schmeichelhaftem Inhalt über den Spitzenkandidaten ausgeweidet. Alles verloren scheint schließlich, als sich herausstellt, dass Kampagnenpersonal in letztklassige Dirty-Campaigning-Projekte verwickelt war, was schließlich sogar den Parteigeschäftsführer zum Rücktritt zwingt.

Die Kampagne der anderen Partei hingegen hat diese Sorgen nicht. Der populäre Spitzenkandidat überrascht regelmäßig mit interessanten Quereinsteigern, das Programm wird in mehreren Tranchen präsentiert, um das mediale Echo zu maximieren. Die Wahlkampflinie ist professionell und aus einem Guss, die öffentlichen Auftritte wirken souverän. Die Kernbotschaft – der Wunsch nach Veränderung – trifft den Nerv des Publikums.

Sicher würden wir annehmen, dass sich die Wähler im Verlauf des Wahlkampfs reihenweise von der ersten Partei abwenden, die zweite hingegen starken Zulauf verzeichnet. Oder nicht?

Die obigen Schilderungen mögen selektiv sein, aber der Eindruck einer völlig desolaten SPÖ-Kampagne und eines souveränen ÖVP-Wahlkampfes ist weit verbreitet. Wenn es jemals ein Szenario gibt, in dem Kampagnen Wählerstimmen bewegen, dann bitte doch dieses.

Die Grafik unten zeigt uns allerdings, dass das bisher nicht der Fall gewesen ist (ob sich die Dirty-Campaigning-Enthüllungen in den Umfragen niederschlagen werden, wissen wir noch nicht). ÖVP und SPÖ stehen heute dort, wo sie schon in der zweiten Mai-Hälfte waren, unmittelbar nach der Übernahme des ÖVP-Parteivorsitzes durch Sebastian Kurz.

Kann es also sein, dass die vielen Millionen, die in die Wahlwerbung fließen, am Ende kaum Stimmen bringen? Wir sollten die Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse von dutzenden US-Feldexperimenten zur Wirksamkeit von Kampagnen kam zu dem Schluss, dass es in den meisten Fällen nicht gelingt, die Parteipräferenzen von Wählern zu ändern (hier eine nichtwissenschaftliche Zusammenfassung). Etwas besser schaut es bei der Evidenz für das Mobilisieren eigener Anhänger und bei Kampagnen zu Referenden aus.

Das alles heißt natürlich weder, dass Wähler ihre Meinung nie ändern (sie reagieren etwa sehr stark auf neues Spitzenpersonal), noch, dass Kampagnen überhaupt nie etwas bewegen können. Aber die Tatsache, dass die rund laufende ÖVP-Kampagne bisher nichts dazugewinnen konnte, während der verunglückte SPÖ-Wahlkampf die Partei bisher nicht messbar Stimmenanteile gekostet hat, sollte uns doch zu denken geben.

Bis klare Evidenz in die Gegenrichtung vorliegt, sollte unsere Arbeitshypothese daher sein, dass die durchschnittliche Kampagne kaum Stimmen bewegt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 2.10.2017)