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Wien – Im Rahmen der Kampagne "16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen" im November wird es wieder eine Vorlesungsreihe geben, heuer unter dem Titel "Eine von fünf: Schrittweise – Wege aus der Gewalt". Von den OrganisatorInnen MedUni Wien, dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und der Volksanwaltschaft wurden die Veranstaltung sowie die zugehörige Publikation kürzlich vorgestellt.

"Die meisten Gewaltverbrechen passieren im Wohn- und Kinderzimmer", verdeutlichte Volksanwältin Gertrude Brinek einleitend die Dringlichkeit und Aktualität des Themas häusliche Gewalt bzw. Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Mit der Ringvorlesung wolle die Volksanwaltschaft ihre Verantwortung als Organisation zum Schutz der Menschenrechte wahrnehmen und einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung schaffen: "Das Thema muss aus der Zone des mäßig Beachteten heraus." Die Gewaltspirale drehe sich, eine von fünf Frauen sei in Österreich im privaten oder öffentlichen Raum von Gewalt betroffen, sagte Brinek.

Zwei Frauen pro Monat

Pro Jahr seien es nach Schätzungen rund 300.000 Frauen in Österreich, die körperlicher oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, ergänzte Andrea Berzlanovich von der Medizinischen Universität Wien. Ärzte und Ärztinnen bzw. Gesundheitsfachkräfte müssen wissen bzw. feststellen können, dass Verletzungen von häuslicher Gewalt stammen und diese erkennen können. "Hier bedarf es einer gezielten Fortbildung", sagte Berzlanovich.

Von Gewalt betroffene Frauen schämen sich oft dafür, was ihnen angetan wurde, hielt Maria Rösslhumer vom AÖF fest, die Österreich generell ein gutes Zeugnis in Sachen Gewaltbekämpfung ausstellte. Insbesondere beim Opferschutz habe sich viel getan. Trotzdem gebe es noch zahlreichen Lücken. Ihr gravierendstes Anliegen: "Es gibt immer noch mehr Täterschutz als Opferschutz. Zwei Frauen werden pro Monat in Österreich von Tätern aus der Familie ermordet, das kann nicht sein in einem kleinen Land wie Österreich. Der Staat muss mehr in den Schutz von Frauen und Kindern investieren."

Verpflichtendes Anti-Gewalttraining

Täter würden oft nur auf freiem Fuß angezeigt werden, kritisierte Rösslhumer. Es brauche mehr Sensibilisierung seitens der Justiz und eine bessere Gefährlichkeitseinschätzung, ein verpflichtendes Anti-Gewalttraining für Täter nach dem ersten Vergehen wäre sinnvoll. "Je früher verpflichtende Maßnahmen gesetzt werden, desto besser. Vor allem im Sinne des Opfers, aber das würde auch dem Täter zugutekommen", sagte Rösslhumer. Auch in Hinblick auf den Fall einer im September von ihrem 18-jährigen Bruder getöteten 14-Jährigen müsse mehr auf die Täter geachtet, mehr beobachtet werden. "Es wird zum Beispiel ausgeblendet, dass der 18-Jährige mit einer Waffe ausgestattet war. Es muss mehr Präventionsmaßnahmen geben, öfter mit gewaltbereiten Jugendlichen gearbeitet werden", so Rösslhumer. Auch die Männerberatungsstellen sieht sie hier in der Verantwortung.

Dringend notwendig sei eine Sensibilisierung zudem in der Justiz, da Scham und Selbstvorwürfe der Frauen etwa durch unpassendes Wording bei Fragen vor Gericht verstärkt werden, merkte Rösslhumer an. So sei es eine Frage der Sensibilisierung, dass bestimmte Fragen nicht gestellt werden, beispielsweise ob eine von Gewalt betroffene Frau zum Tatzeitpunkt Alkohol getrunken hat. "Es gibt da ganz starken Bedarf an Schulungen, etwa bei Familienrichtern, die oft relativ jung sind und wenig Erfahrung haben", erklärte auch Brinek. Einigkeit bestand hinsichtlich der Notwendigkeit einer intensiveren und effizienteren Zusammenarbeit zwischen den Institutionen zur besseren Gewalteinschätzung. Multiinstitutionelle Systeme, die etwa mittels Fallkonferenzen besonders gefährdeten Frauen helfen können, müssten flächendeckend in Österreich umgesetzt werden.

Sieben Vorlesungen

Leitthema der Ringvorlesung, die heuer von 27. November bis 13. Dezember am Zentrum für Gerichtsmedizin in Wien-Alsergrund stattfindet, ist in erster Linie der Opferschutz, aber auch die Täterarbeit. Die sieben Vorlesungen mit insgesamt 23 Vortragenden sollen Studierende aus unterschiedlichen Fachbereichen dafür gewinnen, sich in Hinblick auf ihre zukünftige berufliche Praxis, sowie auch im wissenschaftlichen Kontext intensiver mit der Gewaltthematik und den daraus resultierenden Problemen für die Betroffenen zu befassen, so Berzlanovich. Parallel dazu wird die Publikation "Eine von fünf. Gewaltschutz für Frauen in allen Lebenslagen" präsentiert. Die Auftaktveranstaltung findet am 23. November in der Volksanwaltschaft Wien statt. (APA, 3.10.2017)