Karoline Gruber über Sergei Prokofjews Oper "Der Spieler": "Das Tolle ist, dass es Dostojewskis Roman als Vorlage gibt und man viele Elemente, die Prokofjew weggelassen hat, ergänzen und wieder andeuten kann."

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STANDARD: Sie haben nach einer einzigen Sprechtheaterinszenierung nur noch Opernregie gemacht. Inwiefern braucht die Gattung einen eigenen Zugang?

Gruber: Oper braucht Sinnlichkeit, Bilderwelten, und sie braucht eine eigene Langsamkeit. Ich persönlich gehe gerne über den Realismus hinaus, um in unbewusste Ebenen einzutauchen, um über das Offensichtliche hinaus Möglichkeiten, Optionen aufzuzeigen. Das Schöne an der Oper ist, dass die Musik zwar einerseits eine gewisse Begrenzung mitbringt, aber das Hören andererseits hilft, Bilder zu kreieren.

STANDARD: Müssen Opernregisseure Partitur lesen können?

Gruber: Also: Ich kann Partitur lesen, ich finde aber, dass das Hörenkönnen noch wichtiger ist, um emotional darauf zu reagieren. Ich habe ja auch in Wien Musikwissenschaft studiert und kann die Musik analysieren, aber letztendlich geht es immer darum, was Musik auslöst.

STANDARD: Geht es Ihnen also weder um das, was sich an Musik analysieren lässt, noch um das, was sich an Inhaltsangabe im Programmheft wiedergeben lässt?

Gruber: Ja, gerade beim Spieler ist das sehr stark so. Es ist nicht immer so viel Raum für Bilderwelten wie hier. So toll das Stück ist, wirkt die Struktur manchmal etwas disparat. Warum Figuren auftreten und abgehen, ist nicht immer stimmig. Das Tolle ist, dass es Dostojewskis Roman als Vorlage gibt. Man kann viele Elemente, die Prokofjew weggelassen hat, ergänzen und wieder andeuten. Ich habe nichts dazuerfunden, sondern einiges rekonstruiert, um einen klareren Bogen zwischen den Figuren zu schaffen.

STANDARD: Inwieweit kommen der gesellschaftliche Umbruch der Entstehungszeit und der Niedergang des feudalen Systems und die damit verbundene Orientierungslosigkeit zum Vorschein?

Gruber: Sehr stark. Es gibt natürlich die Adeligen, die ihre Stellung verlieren, aber orientierungslos sind eigentlich alle. Jeder lebt in seiner eigenen Welt und trägt eine Maske vor sich her. Deswegen ist der Titel Der Spieler eigentlich zu eng. Alexej wird in der letzten halben Stunde der Oper zum Spieler, vorher ist er das gar nicht. Dostojewski wollte seinen Roman eigentlich "Roulettenbourg'" nennen. Das wäre eigentlich passender.

STANDARD: Braucht für Sie auch jedes Stück einen anderen Zugang – so wie ein guter Arzt auf jeden Patienten aufgrund seiner Symptome anders reagiert?

Gruber: Ich glaube schon, mir war das immer sehr wichtig. Das war aber manchmal auch ein bisschen ein Handicap in meiner Laufbahn, dass ich nie in eine bestimmte ästhetische Schublade gepasst habe, wo man von vornherein wusste, wie meine Arbeiten aussehen würden. Ästhetik und Bühnenbild entwickeln sich in meiner Arbeit mit dem Team immer erst aus der Auseinandersetzung mit dem Stück und ausgehend von dem, was wir erzählen wollen. Das war für manche Intendanten schwierig. Aber ich kann nur so arbeiten. Ich kann mir nicht einen fahrenden Kubus hinstellen lassen. Für mich ist immer die Figurenpsychologie entscheidend.

STANDARD: Lassen sich Ihre Überlegungen dann im Probenprozess eins zu eins von den agierenden Personen umsetzen?

Gruber: Ich kann immer nur davon ausgehen, wie ich selbst in einer bestimmten Situation reagieren würde. Im Laufe der Zeit habe ich aber gelernt, immer stärker einzubeziehen, was die einzelnen Sänger beizutragen haben, was sie von sich aus einbringen können und was für sie jeweils stimmig ist. Diese Arbeit – und dabei im Rahmen meines Gesamtkonzepts einen gemeinsamen Nenner zu finden – gehört auch zu den schönsten Seiten meines Berufs. Im besten Fall entsteht daraus etwas Überzeugendes. (Daniel Ender, 4.10.2017)