Bei der Firma EVVA lässt sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz erklären, wie Schließ- und Zutrittssysteme funktionieren.

christian fischer

Mit diesem Wissen will er ins Kanzleramt am Ballhausplatz einziehen.

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Im Tourbus.

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Wien – Vom Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Platz geht es los, der Kandidat hat gerade die Diskussionsveranstaltung einer großen Tageszeitung hinter sich gebracht. So, wie er drauf ist, dürfte es fantastisch gelaufen sein.

Erster Halt Wien-Meidling. Jetzt muss es schnell gehen. Der türkise Wahlkampfbus biegt in die Haltestelle des 15A, der Chef wird beim Hinterausgang rausgehetzt. Die Zuseher des ATV-"Reality Check" werden von der Hektik später nichts bemerken. Moderatorin Sylvia Saringer erwartet Sebastian Kurz bereits am Gehsteigrand und erklärt ihm das TV-Format. Die Herbstsonne lacht, auch der Außenminister ist guter Dinge.

Es ist Tag zwei nach dem Hochgehen der roten Politbombe. Der Name Tal Silberstein ist in aller Munde. Facebook-Schmuddelseiten wollen erklärt, Dirty-Campaigning-Nebenwirkungen behandelt werden. Umfragekaiser Kurz hilft den im Tourbus anwesenden Journalisten mit seiner Interpretation der Dinge. Zunächst aus der Sicht des von den Verleumdungen direkt Betroffenen. Dann aus der Perspektive des Selbstbeobachters: "Das war jetzt bitte alles im Off", fügt er in solchen Momenten mit Bestimmtheit an. Soll heißen: Das eben Gesagte kann von den Medienvertretern nicht zitiert werden.

Entschuldigung erwünscht

Im "On", also schreib- und sendbar, richtet er Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern aus, "es wäre richtig, sich zu entschuldigen", Der Maulwurftheorie – also der These, hinter der ganzen Aktion könnte eine Intrige der Volkspartei stehen – könne er "nicht viel abgewinnen". Vielmehr hofft Kurz, dass hinter dem Auffliegen der Schmuddelseiten-Urheberschaft Menschen aus der Sozialdemokratie stünden, die sagen, "da mache ich nicht mehr mit". Was er im Off noch anzufügen hat, darf hier leider nicht verwendet werden. Die Brisanz hält sich in Grenzen.

Wahlkampf ist. Da ist Sebastian Kurz nicht der einzige Politiker, der ganz genau auf seine Wortwahl und die Symbolik seiner Wahlkampfaktionen achtet.

Skeptische Arbeiter

Besuch bei der Firma EVVA Sicherheitstechnik. Hier lernt Kurz, dass auch die Oper von Kopenhagen und das Stadion des Fußballklubs Juventus Turin mit den Schließ- und Zutrittssystemen aus Österreich ausgestattet sind. Bereitwillig lässt er sich erklären, wie die neue drei Millionen Euro teure Maschine zur Herstellung von Schlossgehäusen funktioniert.

Im ohrenbetäubenden Lärm der Werkhalle trifft er auf skeptische Arbeiter, die daran zweifeln, ob ihnen nach der Wahl auch wirklich "mehr Netto vom Brutto" bleibt. Der Kanzleraspirant, umrundet von den Damen und Herren in den türkisen Bewegungs-Sweatern, verspricht: "Ich werd mich auf jeden Fall anstrengen."

"Alles okay?"

Dass ihm beim Lesen von Mails und Nachrichten die Kameras über die Schulter filmen, bringt den 31-Jährigen nicht aus der Fassung. Sein lautes "Hallo! Grüß Gott! Alles okay?" ist ein verlässlicher Eisbrecher im Kontakt mit dem Wahlvolk. Meist gefolgt von der Frage: "Wie lange sind Sie schon hier?"

Zwei Arbeiterinnen sind von dem forschen Auftreten sichtlich angetan. Jung und fesch sei er, erklärt die eine. Sonja Aigner, die heute in der Montage arbeitet, wird dem türkisen Hoffnungsträger bei der Nationalratswahl am 15. Oktober auch ihre Stimme geben, wie sich versichert.

Wohlüberlegte Antworten

Zurück im Bus beginnt das "On"-und-"Off"-Spiel wieder. Wenn die Kameras mitlaufen, wie jetzt für das Interview mit dem ORF, ist Sebastian Kurz sein eigener Rhetoriktrainer. Er formuliert seine Antworten wohlüberlegt und gestochen scharf. Und wenn er sich verspricht, registriert der Zuhörer Kurz das in Millisekunden und bügelt den Patzer schnell mit einem "Tschuldigung, ich sag das noch einmal" aus.

Nächster Halt Freiwilligenbüro. Was als Telefonaktion für ÖVP-Sympathisanten gedacht war, endet in einer schnellen "Und? Alles okay?"-Tour im kleinen Straßenlokal gleich beim Wiener Juridikum in der Wiener Innenstadt.

"Unterstützer zu Beteiligten machen" steht hier an der Wand. Oder: "Ob du viel Zeit hast oder wenig, ist uns egal: Jede Minute zählt!" Sebastian Kurz hat heute leider keine Zeit, um sich persönlich an den Hörer zu hängen. Täglich würden aber zwischen fünf und zehn freiwillige Helfer hier vorbeischauen, heißt es.

Natürlich schwarz

Sophie Valtiner ist in Wien als Teamcoach aktiv und versprüht die Aura einer Erleuchteten. Seit zwei Jahren ist sie bei der Jungen ÖVP, jetzt wolle sie "wirklich etwas bewegen". Etwa bei einer der "Frühverteilaktionen", bei denen die Leute am Morgen nach einer TV-Konfrontation des Spitzenkandidaten mit dessen wichtigsten Argumenten ausgestattet werden. Oder darf's noch ein Plastikbecher mit türkisem Aufkleber sein? Gefüllt wird er mit Kaffee, schwarz natürlich. (Karin Riss, 4.10.2017)