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Warmlaufen vor dem großen Auftritt der Parteifreunde: Boris Johnson am Dienstagmorgen in Manchester.

Foto: REUTERS/Hannah McKay

Es ist kein Durchkommen. Zweieinhalb Tage lang haben die Mitglieder des britischen Kabinetts vor halbleerem Saal gesprochen, entsprach die Stimmung in der Kongresshalle von Manchester der brutalen Prognose des "Times"-Kolumnisten Matthew Parris: Die Zusammenkunft der konservativen Regierungspartei sei "ein Parteitag von Toten auf Urlaub".

An diesem Dienstagnachmittag ist die Halle voll, kommt Stimmung in die angeblichen Zombies. Es geht um Europa und Großbritanniens Loslösung von der EU. Und es spricht Außenminister Boris Johnson, die Brexit-Galionsfigur. Wie in seinen jüngsten Zeitungsartikeln und -interviews schrammt der 53-Jährige auch diesmal haarscharf am Vorwurf der Illoyalität gegenüber Premierministerin Theresa May vorbei. Und natürlich erfüllt er die Erwartungen der überwiegend EU-feindlichen Partei (Durchschnittsalter: jenseits 70 Jahre). Er serviert ein paar süffisante Invektiven gegen Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn und verbreitet sonnigen Optimismus: "Wir werden den Brexit zum Erfolg machen." Jubel im Saal.

Erfolgreicher Brexit

Brexit bedeutet Brexit. Flexibilität und Kreativität, wie sie Premierministerin Theresa May in Florenz von den EU-Partnern gefordert hat – das seien doch alles leere Phrasen, findet der CDU-Abgeordnete Detlef Seif. In Wahrheit, glaubt der Brexit-Berichterstatter der CDU-Fraktion im deutschen Bundestag, sei beim Brexit die sogenannte Win-win-Situation ausgeschlossen: "Beide Seiten werden verlieren." Es gehe nur um Schadensbegrenzung.

Schweigend hört ihm das Publikum zu, das am Montag zu einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung erschienen ist. Wie bei fast allen dieser sogenannten Fringe Meetings ("Treffen am Rande") sind weit vor Beginn alle Plätze vergeben, müssen viele Interessierte im Stehen zuhören. Es handelt sich vor allem um die wenigen verbliebenen EU-Freunde in der Tory-Partei. Die gebe es noch, beteuert Ex-Gesundheitsminister Stephen Dorrell, ehe er den Brexit zum "historischen Fehler" erklärt.

Vielleicht hat die seltsam depressive, uninteressierte Stimmung im Kongresssaal ja auch damit zu tun, dass bis zum Dienstagnachmittag über das beherrschende Thema britischer Politik so wenig wie möglich gesprochen wurde. Die Innenministerin lobt die Polizei und verspricht schärfere Gesetze gegen Terrorpropagandisten im Internet. Der Gesundheitsminister lobt Ärzte und Krankenschwestern und verspricht mehr Nachwuchs. Der Finanzminister lobt die freie Marktwirtschaft und verspricht mehr Kredithilfen für junge Häuslbauer. Umgehend muss er sich, ausgerechnet von der "Financial Times", dafür tadeln lassen: Die Maßnahme werde lediglich die Preise im ohnehin gefährlich überhitzten Immobilienmarkt hochtreiben.

Partei für die demnächst Toten

Wie aber die Jungwähler und Junggebliebenen zurückgewinnen, die bei der letzten Wahl in Scharen zur Labour-Opposition unter Jeremy Corbyn übergelaufen sind? Und jene in ihren 20ern und 30ern, die seit dem Finanzcrash 2008 die brutale Sparpolitik der Regierung erleiden müssen, deren Reallöhne sinken, deren Aussichten auf ein eigenes Dach über dem Kopf gegen null tendieren? 47 Jahre, so hat es das Meinungsforschungsinstitut Yougov ermittelt, stellten im Juni die Grenze dar: Wer jünger war, wählte mehrheitlich Labour, die Älteren und ganz Alten mit immer größerem Vorsprung Tory. Sind die Konservativen also wirklich eine Zombie-Partei für die demnächst Toten?

Der Thinktank Bright Blue macht dazu eine Veranstaltung im ehrwürdigen Rathaus von Manchester, und auch diesmal ist der Saal gesteckt voll. Die Ratsuchenden sind also quicklebendig, immerhin. Freilich bleiben sie auch ratlos. Politik müsse "ein Dialog sein, kein Monolog", teilt der schwarze Abgeordnete Sam Gyimah mit. Jungen Leuten müsse man "etwas Positives bieten", beteuert Thinktankerin Laura Round. Und natürlich dürfe die Partei sie "nicht als Problem behandeln", weiß Ex-Kabinettsmitglied David Willetts. Kreative Ideen, Lösungen gar sehen anders aus.

Vielleicht hat die Regierungschefin welche anzubieten, wenn sie am Mittwoch zum Abschluss des Parteitags spricht. Gewiss wird dann die Halle voll sein, und pflichtschuldig werden die Delegierten ihrer Chefin eine Standing Ovation bereiten. Bitter nötig hätte Theresa May ein wenig Aufwind: In der jüngsten Umfrage liegen die Tories mit 39 Prozent deutlich hinter Labour (43 Prozent). Und gerade einmal 37 Prozent der Briten zeigen sich mit der Amtsführung der Premierministerin zufrieden. (Sebastian Borger, 3.10.2017)