Inszenierung über alles – auch noch nach Haiders Tod: News gab 2008 einen Kalender mit den "schönsten Bildern" heraus.

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Im Aufmerksamkeitsfokus deutscher Medien: Die AfD-Spitzen Alice Weidel und Alexander Gauland, jetzt auch im Bundestag.

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Ettl-Huber: Gewöhnungseffekt

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Rohrer: Nicht gut genug nachgefragt

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Rabl: Medien müssen Probleme offen ansprechen

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Nagiller: AfD zu oft in Talkshows eingeladen

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Hausjell: AfD hat mit den Medien gespielt

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Wien – Noch am Abend der Bundestagswahl in Deutschland, das Ergebnis stand gerade fest, platzte dem CSU-Politiker Joachim Herrmann in der Berliner Runde von ARD und ZDF der Kragen: Die Medien seien schuld am Aufstieg der AfD, weil sie über jede Ungeheuerlichkeit berichtet hätten – und nun verschwende man schon wieder die Hälfte der Sendezeit auf "diese Partei".

In den darauffolgenden Tagen ging es mit dem Medien-Bashing weiter, und die Kritisierten gingen auch selbst in die Reflexionsphase. Da wurde es plötzlich auch interessant, Meinungen zu diesem Thema aus Österreich einzufangen. ORF-Anchor Armin Wolf etwa durfte Tipps im Umgang mit Rechtspopulisten geben: "Gründlich recherchieren, alles aufheben und ins Studio mitnehmen". Die Analyse von Walter Ötsch und Falter-Journalistin Nina Horaczek, Populismus für Anfänger, in der der ausgrenzende Diskurs der Populisten dargestellt wurde ("Wir sind das Volk" versus "die da oben" oder "die Ausländer"), kürzlich wieder aufgelegt, fand die Aufmerksamkeit der Zeit.

Deutschlands Medien arbeiten sich seit dem denkwürdigen Wahltag erkennbar an der Frage ab, wie der "richtige" Umgang mit der AfD sein könnte. Österreichs Medien haben diesen schmerzhaften Prozess der Selbstkritik schon vor rund dreißig Jahren begonnen, als der scheinbar unhaltbare Aufstieg Jörg Haiders begann. "Wie umgehen mit Haider?", wurde in allen Redaktionen diskutiert – und selten für alle Seiten zufriedenstellend beantwortet.

Gewöhnungseffekt

Auch deutsche Kollegen brachten damals pointierte Meinungen ein. Michael Frank, der langjährige Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, meinte etwa: Österreichs Medien hätten die FPÖ wie "eine normale Partei" beschrieben. Das habe dazu geführt, dass deren verbale Tabubrüche sehr bald schon als "normal" angesehen worden seien.

Silvia Ettl-Huber, Vizerektorin an der FH Burgenland, bestätigt diese Kritik aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht: Würden bestimmte, von Populisten immer wieder strapazierte Themen, etwa Hetze gegen Ausländer oder "Sozialschmarotzer", von Medien stets aufgegriffen – und sei es selbst mit kritischem Unterton -, trete bei den Medienkonsumenten ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Ettl-Huber: "Hängen bleibt dann bei den meisten Menschen, dass es offenbar ein gröberes Problem mit Ausländern oder Sozialschmarotzern gibt."

Anneliese Rohrer, die damals das Innenpolitikressort der Presse leitete, geht noch weiter: Österreichs Medien trügen eine Mitschuld an Haiders Aufstieg, sagte sie dem STANDARD – in zwei Aspekten: Einerseits sei jeder Satz von Haider skandalisiert worden. Allerdings sei Haider stets in verantwortlichen Positionen gewesen. Rohrer: "Wenn ein Landeshauptmann von der 'ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich' faselt, können wir das nicht ignorieren." Zweitens jedoch sei man "seinen Halbwahrheiten nicht nachgegangen". Ein Beispiel: Haider habe Anfang der 1990er-Jahre stets gegen "die Bosnier" gewettert, von gefährlichen "Parallelwelten" im 16. Wiener Gemeindebezirk – "und auch ich habe niemanden aus meinem Team hingeschickt, um die Verhältnisse in Ottakring zu durchleuchten".

Die mediale Verunsicherung damals könne man mit jener heute vergleichen, sagt Rohrer: "Es fielen ja im deutschen Wahlkampf dieselben provokanten Sätze." Aus diesem Zwiespalt könnten sich seriöse Medien kaum befreien. Rohrer: "Man kann die Provokationen nicht verschweigen, obwohl man weiß, dass man damit Wasser auf die Mühlen der Provokateure gießt."

"Waisenknabe" Haider

Auch Peter Rabl, zwischen 1988 und 1990 Profil-Herausgeber, sagt selbstkritisch: "Wir haben Haider bekämpft und ihn gleichzeitig gefördert." Alle Medien hätten damals den gravierenden Fehler gemacht, nicht auf die Inhalte seiner Aussagen zu schauen, sondern auf den "teils inakzeptablen Tonfall". Dabei habe Haider, etwa beim Anprangern der österreichischen "Privilegienwirtschaft", inhaltlich oft recht gehabt. Was Provokationen angeht, sieht Rabl Haider freilich "im Vergleich zur AfD als Waisenknaben".

Das Internet habe im deutschen Wahlkampf als "Brandbeschleuniger" gedient. Rabl: "Die Berliner politische Blase hat halt vor allem über die Provokationen der AfD die Nase gerümpft. Wenn man nun so weit kommt, die Probleme in Deutschland offen anzusprechen, nimmt man den Extremisten zumindest einen Teil ihrer Basis weg." Dies sei jedenfalls eine Parallele zu den österreichischen Erfahrungen mit Haider und der FPÖ. Im Übrigen, sagt Rabl, müsse man auch zugeben, dass "sich Cover mit Haider drauf immer exzellent verkauft haben".

Einen Vorwurf macht daraus der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell vor allem News: Das Magazin habe stets das Bild von Jörg Haider als "modernen, hippen Politiker" transportiert, es habe jede seiner Selbstinszenierungen publizistisch gehypt. Hausjell: "Selbst wenn im Politikteil Haiders Aussagen kritisiert wurden, blieb am Ende nur das heroische Bild vom bungee-springenden Helden übrig."

Fürzchen transportiert

Rudolf Nagiller, damals Informationsintendant des ORF, verortet als "Basisproblem" wiederum, "dass die Medien jedes Fürzchen transportiert haben". Das taten sie bei Haider, das hätten sie auch im Falle der AfD getan. Nagiller: "Die AfD wurde viel zu oft in politische Talkshows eingeladen."

Kommunikationsforscher Hausjell ist weniger streng. Deutschlands Medien hätten sich sehr wohl mit den von der AfD aufgeworfenen Problemen befasst und versucht, aufklärend zu wirken. Allein: "Viele haben ihnen nicht mehr geglaubt." Das sei auf die schon von Pegida betriebene, gezielte Strategie zurückzuführen, seriöse Medien als "Lügenpresse" zu denunzieren und sich selbst als deren Opfer zu stilisieren. Um das zu widerlegen, seien AfD-Politiker eben häufig vor der Wahl in Talkshows eingeladen worden. Hausjell: "Dort haben sie dann mit den Medien gespielt." (Petra Stuiber, 6.10.2017)