Diesem Fräulein (Henriette Blumenau) braucht Faust (Florian Köhler) kein Geleit anzutragen. Sie bevorzugt Mephisto (Benedikt Greiner).

Johanna Lamprecht

Graz – Im Februar wäre Werner Schwab 60 Jahre alt geworden. Die Anzeichen einer Wiederentdeckung des österreichischen Dramatikers, der spektakulär in der Neujahrsnacht 1994 den Alkoholtod starb, sind indes spärlich. Schwab ist – abgesehen vom All-Time-Favorite Die Präsidentinnen – ein ad acta gelegter Dichter, und man weiß auch, warum: Theater schrecken vor der hochkünstlichen Sprache zurück, die in ihren grammatikalischen Praktiken und eigensinnigen Wortfindungen bis zur Unverständlichkeit reicht. Sie strahlt in einem Vergegenständlichungszwang eine sachliche Kühle aus, die erst einmal verdaut werden muss. Redet doch einmal lieb miteinander, denkt man.

Auch in Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm, das nun am Schauspielhaus Graz seine unglaublich späte österreichische Erstaufführung feierte, wünscht man sich das vergebens. Das Drama nach Goethe entstand, als Schwab Anfang der 1990er-Jahre am Zenit seines kurzes Ruhms stand und bereits Auftragswerke schrieb. In Faustens postapokalyptischem Albtraum, als den Claudia Bauer das Gelehrtendrama stilsicher inszeniert, ist Margarethe (Henriette Blumenau) eine selbstbewusste Göre, die aufs Geschmeide pfeift und sich mehr für den sportlichen und weniger mieselsüchtigen Mephisto (Benedikt Greiner) interessiert. Während Faust (Florian Köhler) im Gruselkabinett seines Studierzimmers schmerzvoll gegen den eigenen Verfall ankämpft.

Getaktetes Sprechen

Regisseurin Bauer macht etwas sehr Kluges: Sie entwickelt den Abend radikal aus der Sprache und deren schneidenden Rhythmen. Sie spannt die Sätze streng auf wie auf Notenlinien, lässt sie mechanisch durch die Münder der Schauspieler ziehen, oft getaktet von einem hörbaren Metrum (Musik: Peer Baierlein). Das wirkt maschinell (und manchmal auch ein wenig leer), doch das ist ganz im Sinne des Erfinders. Die Körper sind abgewohnt, leblos und sprechen trotzdem, eben in der ihnen eigenen vergeblichen Art.

Die Souffleuse (Rosemarie Brenner) erteilt mit dem Vorlesen der Regieanweisungen Befehle an das Figurenpersonal. Wie Bewohner der sauerstoffleeren Welt E. T. A. Hoffmanns erscheinen diese in Märchenoutfits herausgeputzten Automatenfiguren (Kostüme: Dirk Thiele). Ihre Welt ist abstrakt, ein Leuchtstoffröhrenkreis von einer beschmutzten Leinwand begrenzt (Bühne: Patricia Talacko). In diesem steht Fausts Zimmer, wie ein Planwagen hereingefahren.

Dort kommt Faust im Streben nach Höherem doch nicht weg vom Gestank der eigenen Existenz. Die Verdauungsmetapher hält Claudia Bauer hoch und lässt den nach Geist Ausschau haltenden Mann kaum über den Tellerrand des eigenen Nachttopfs hinausgelangen. Er bedient sich herzhaft an der selbstverfertigten Wurst – und siehe da, so steckt auch in Faust das kleine Fäkaliendrama. Kommt doch schon Mephisto aus dem Faustischen Gedärm gerobbt!

Goethe darf nicht maunzen, so treu hat Schwab den Plot eingehalten: von Auerbachs Keller bis zur Walpurgisnacht, zu der hier die furchterregend buhlerische Marthe Schwerdtlein (Julia Gräfner) im Schlachtschurzkleid lädt. Am Ende, wenn sich das Innere nach außen gestülpt hat oder wie bei Famulus Wagner (Fredrik Jan Hofmann) der Arsch mittlerweile am Kopf festsitzt, macht sich Surrealismus breit: Bilder vom deformierten Dasein, das letztlich zu nichts Besserem taugt als zum Konsum. Eine bittere wie heitere Pointe dieser fabelhaften Schwab-Wachküssung. (Margarete Affenzeller, 5.10.2017)