STANDARD: Sie sind seit mehr als 20 Jahren in der Politik tätig. Ist dieser Wahlkampf der schmutzigste, den Sie bisher erlebt haben?

Lunacek: In der Dimension ist das schon etwas Neues. Es gab Kampagnen, wo andere angeschüttet wurden, allen voran natürlich die grässlichen Anti-Ausländer-Kampagnen der Freiheitlichen, die massiv gehetzt haben. Doch man muss sich einmal vorstellen, was jetzt passiert ist: Da werden über soziale Medien rassistische und antisemitische Inhalte verbreitet und die Fährte ins rechte Eck gelegt – heraus kommt aber, dass das vonseiten der Sozialdemokratie stammt. Da sind Intrigen am Werk, das habe ich davor noch nicht erlebt. SPÖ-Chef Christian Kern hätte bereits im Jänner die Zusammenarbeit mit Tal Silberstein beenden müssen. Man hat damals schon gewusst, dass gegen ihn ermittelt wird. Silberstein soll auch gute Kontakte zu der ÖVP und den Neos haben. Das ist eine Verquickung an unseriösen Machenschaften, die ihresgleichen sucht.

Die grüne Europapolitikerin Ulrike Lunacek wurde im Mai von ihrer Partei zur Spitzenkandidatin gewählt. Als Parteichefin folgte auf Eva Glawischnig die Tirolerin Ingrid Felipe. Nach der Wahl will Lunacek "mitreden", wer in der nächsten Regierung sitzt.
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STANDARD: Meinungsforscher erwarten, dass Rotwähler nun zu den Grünen überlaufen könnten. Eine unerwartete Chance?

Lunacek: Wenn Wähler, die zwischen Rot und Grün wanken, jetzt jemanden wählen möchten, der mit solchen Methoden nichts am Hut hat, dann freue ich mich, wenn sie Grün wählen. Lieber wäre mir, es gäbe solche Skandale nicht.

STANDARD: Sehr redlich, aber haben Sie ein neues Wahlziel?

Lunacek: Die Zweistelligkeit, daran hat sich nichts geändert.

STANDARD: Ihre Hauptforderungen im Klimabereich sind die Umstellung auf erneuerbare Energien bis 2050 - das wurde bei der Pariser Klimakonferenz vereinbart – und keine Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren ab 2030 – das wird selbst von der scheidenden Regierung forciert. Ist das für eine Oppositionspartei nicht etwas gar vernünftig und unambitioniert?

Lunacek: Wir haben auch andere Forderungen, für die wir sehr kritisiert werden. Wir wollen zum Beispiel, dass Diesel so viel kosten soll wie Benzin. Wir haben Maßnahmen im Programm, die Umstellungen im Fahrverhalten möglich machen sollen. Da geht es natürlich auch um den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Reden davon tun alle, aber sie tun es nicht.

STANDARD: Glauben Sie, wären die Grünen weniger vernünftig und würden mehr auf den Tisch hauen, wäre ihr Potenzial größer?

Lunacek: Die Frage zielt darauf ab, ob wir populistischer sein sollten. Aber schauen Sie sich unsere Plakate an, da hat es Aufregung gegeben. Etwa bei dem Slogan "Sei ein Mann, wähl eine Frau". Viele haben gefragt, was das jetzt soll und warum wir das tun. Wir versuchen, mit Worten zu spielen, um Debatten anzuregen. Beim Populismus gibt es zwei Varianten: ihn als Stilmittel zu verwenden, um etwas mit Humor zuzuspitzen – das machen wir auch. Aber Populismus, der Ängste schürt und instrumentalisiert, das kann es nicht sein.

STANDARD: In welche Kategorie Populist fällt denn Peter Pilz?

Lunacek: Er wollte eine Art von Populismus, die mir nicht gefällt. Etwa mit seinem Papier, wo er FPÖ-Diktion verwendet. Das ist dann eher Populismus, der Ängste schürt.

STANDARD: Die Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien ist im großen Maßstab nicht möglich. Radikal eindämmen ließe sich die weltweite Luftverschmutzung durch Atomkraft, die viele andere Nachteile bringt. Wie gehen Sie mit diesem grünen Dilemma um?

Lunacek: Atomkraft ist die gefährlichste Energie und kann kein Ersatz sein. Ich konzentriere mich darauf, wo die Chancen liegen, und nicht darauf, was nicht geht. Wir haben keinen Planeten B.

STANDARD: Aber eine Lösung A?

Lunacek: Natürlich haben wir die. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ist möglich.

STANDARD: Aber nicht rein ersetzbar durch erneuerbare Energie.

Lunacek: Nur gemeinsam mit mehr Energieeffizienz. Es geht darum, zu beginnen. Da machen natürlich die Autoindustrie und die Ölkonzerne Druck. Ich habe das im Europaparlament immer wieder erlebt. Wir sind die letzte Politikergeneration, die den Umstieg beginnen kann. Wir fördern in Österreich fossile Brennstoffe indirekt mit vier Milliarden Euro pro Jahr, wir importieren jährlich Kohle, Öl und Gas im Wert von 15 Milliarden Euro. Dieses Geld könnten wir in Energieeffizienz investieren. Jedes Gebäude kann thermisch saniert werden. Wir brauchen keine Heizungen und keine Klimaanlagen mehr, das kann anders gelöst werden. Da sind zigtausende Jobs drinnen.

"Peter Pilz wollte eine Art von Populismus, die mir nicht gefällt", sagt Lunacek.
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STANDARD: In Deutschland können schwule und lesbische Paare nun heiraten. Wann glauben Sie, wird das in Österreich passieren?

Lunacek: In Deutschland trat vor ein paar Tagen die Ehe für alle in Kraft, bei uns ein Burkaverbot, durch das drei Clowns und eine Touristin abgemahnt werden konnten. Das macht uns irgendwie lächerlich. Mehr als zwei Drittel der Österreicher haben nichts gegen die Ehe für alle, insofern glaube ich schon, dass es möglich ist, einen Herrn Kurz dazu zu bewegen, die Abstimmung im Parlament freizugeben, wie das auch seine viel erfahrenere Kollegin, Kanzlerin Angela Merkel, getan hat.

STANDARD: Wenn Sie sich wünschen könnten, wie die Wahl ausgeht: Wer wird Erster?

Lunacek: Wie es aussieht, ist das gelaufen. Kurz wird Erster und will Schwarz-Blau durchsetzen. Das wäre nicht gut für Österreich, vor allem nicht im europäischen Kontext. Wir wollen deshalb stark werden und mitreden, wer in der nächsten Regierung sitzt.

STANDARD: Aber mit einer Kurz-ÖVP würden Sie nicht koalieren?

Lunacek: Mit der Linie, die Kurz und auch Innenminister Sobotka fahren, wird das nicht gehen.

STANDARD: Mit SPÖ-Verteidigungsminister Doskozil in einer Regierung zu sitzen wäre in Ordnung?

Lunacek: Auch schwierig. Gespräche führen werden wir aber, um Österreich eine blaue Regierungsbeteiligung zu ersparen.

STANDARD: Dafür würden Sie einiges in Kauf nehmen?

Lunacek: Nein, aber hart verhandeln. Es gibt aber zwei Volksparteien. Jetzt muckt noch niemand auf, der den Kurs von Kurz ablehnt. Aber es gibt Kritiker. In Österreich genauso wie auf europäischer Ebene. In Europa und auch der Europäischen Volkspartei sind viele entsetzt über Kurz, über seinen an Orbán angelehnten Kurs und seine Bereitschaft, mit den Freiheitlichen zu koalieren. Bevor es zu einer schwarz-blauen Regierung kommt, werden europäische Politiker auf ihn Druck ausüben, das weiß ich, das hab ich von einigen gehört. Die wollen nicht, dass Österreich in Richtung der Visegrád-Staaten abrutscht.

STANDARD: Glauben Sie, dass Kurz sich davon beeindrucken lässt?

Lunacek: Momentan geht es ihm nur darum, so hoch wie möglich zu gewinnen. Nach der Wahl sieht die Welt oft anders aus. (Katharina Mittelstaedt, 4.10.2017)