Dennis Paphitis hatte 1987 eine Vision: Warum etwas Hässliches erschaffen, wenn man es auch schön machen kann? Alle hörten Rick Astley, betonierten sich die Frisuren mit FCKW hoch, und die Haarspraydosen lagen wie Schlagstöcke mit Blumenmuster in der Hand. Dem Friseur aus Melbourne schauderte es bestimmt. Sonst hätte er nicht diese Kosmetikprodukte kreiert: Cremes in feinen Tuben, die einer ultramodernen Apotheke zu entstammen schienen, Tiegel für den Museumskatalog und Pipettenflaschen wie im Chemieunterricht.

In einem grauen Lagerhaus in Melbourne lebt Paphitis' Erbe fort. Zwei Etagen in der Smith Street, alter Backstein, kein Firmenlogo an der Wand, kein Schild an der Tür, lediglich ein aufgemaltes Virginia-Woolf-Zitat. Eine Klingel deutet darauf hin, dass hinter der Fassade Menschen irgendetwas tun. Versteckt Amazon hier seinen australischen Buchbestand? Kocht jemand in dem diskreten Gebäude Drogen?

Aesop-Produkte mit Petersiliensamen.
Foto: Aesop

Es wird tatsächlich getüftelt in Melbournes Szeneviertel Fitzroy, allerdings nicht an chemischen Stimmungsaufhellern. Wem die Tür geöffnet wird, findet ein Labor anderer Güte: Es riecht nach Zitrusdüften, Angestellte experimentieren mit Petersiliensamenessenzen, und Weißkittel sitzen über Algenextrakten. Das ist der Hauptsitz der australischen Marke Aesop, die Paphitis gegründet hat, und hier werden die Pflegeprodukte für Haut, Gesicht und Haare getestet und ihre Gestaltung und ihr Versand koordiniert.

Zurück zur Botanik

Aesop hat in den vergangenen 30 Jahren den Markt für Schönheitsprodukte umgekrempelt. Nicht nur mit dem Design. Paphitis hat die Botanik zurück in die Schönheitspflege gebracht. Die alten Griechen setzten bereits Zitrusöle und Bienenwachs in der Kosmetik ein, der Sohn griechischer Einwanderer verzichtete auf branchenübliche Zusätze wie Parabene, Silikone oder Farbstoffe und experimentierte mit Sesamöl, Grapefruitsamen oder Salbei.

Aus einem Kaufhausverkaufsstand in Melbourne ist inzwischen ein international operierendes Unternehmen geworden. Mehr als 100 Geschäfte gibt es in Großstädten weltweit, New York, Hongkong, Paris, im September ist das erste in Österreich hinzugekommen. In Wien hat Aesop am Bauernmarkt 2a einen seiner durchgestalteten Stores eröffnet, der jeweils auf die Stadt zugeschnitten ist.

"Die Menschen wollen mit ihrer Kosmetik einzigartig sein", sagt Kate Forbes, promovierte Chemikerin über strukturelle Kristallogie und Chefentwicklerin bei Aesop, als sie sich an einen langen weißen Tisch im Melbourner Hauptquartier setzt. "Einfachheit, Integrität, Authentizität", das seien die drei Pfeiler der Marke. Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, dann einen Hang zum Minimalismus. Weniger ist mehr. Für die Produkte heißt das: keine schweren Düfte, klare Naturgerüche wie aus Omas Kräutergarten. Die Innenarchitektur übersetzt das Credo so: keine grellen Farben, keine Schnörkelschriften, klare Linien.

Weniger ist bei Aesop mehr: Die Produkte der australischen Marke zeichnen sich durch ihre minimalistische Gestaltung aus.
Foto: Aesop

Die Designphilosophie des Gründers zieht sich auch durch die Zentrale. Die Wände sind makellos monochrom weiß gestrichen, in der Küche stehen die Kaffeebehälter exakt aneinandergereiht nebeneinander, angeblich gibt es sogar feste Regeln, welches Toilettenpapier zu benutzen sei. An der Rezeption sitzen zwei junge Menschen, ein Mann und eine Frau, die uniform in weißem Oberteil und schwarzer Hose gekleidet sind. Zufall, beteuern sie. Oder eben absolute Verinnerlichung der Gestaltungsprinzipien.

Aesop ist die Marke für alle Ordnungsfetischisten, die einen an der Kirsche haben – also eine sehr eigene Vorstellung, wie man zu duften und wo ein Tiegel zu stehen hat. Aus diesem Starrsinn ist auch dank Kate Forbes, die seit 15 Jahren die Produkte federführend mitentwickelt, ein Markenzeichen geworden. Sie trägt ein schlichtes dunkles Kleid, das über den Oberschenkeln endet, wie jede Australierin lächelt sie freundlich. Ihre Haut glänzt matt, kein sichtbares Make-up – eine gesunde Gesichtsfarbe würde man sagen.

Normales Frischelevel

"Wir sind heute anderen Stresslevels ausgesetzt", sagt sie – und erklärt so die Fülle der Lotions, Cremes und Gesichtsmasken im Regal, das am anderen Ende des Raums steht. Sie zählt auf, was wir heute alles bewältigen sollen: im Job funktionieren, nebenbei Kinder erziehen und noch Zeit für das Sportstudio haben. Um all das zu schaffen, glaubt Forbes, sparen wir an der Nachtruhe. "Die empfohlenen acht Stunden schlafen die wenigsten von uns." Das wiederum mache dem Körper zu schaffen, die Haut wird davon als erstes Organ betroffen. Ihre Barrierefunktion nimmt ab, sie lässt mehr Schadstoffe durch. Aesop, hilf! Zwei Mal am Tag Hände und Gesicht waschen, danach die Haut mit einer Feuchtigkeitscreme dabei unterstützen, ihr normales Frischelevel zu erreichen.

Über ihren Schreibtisch gehen alle Aesop-Produkte: Kate Forbes ist die Chefentwicklerin der Marke.
Foto: Aesop

Eine Wissenschafterin wie Kate Forbes weiß, wie robust die Haut ist. Das größte menschliche Organ verfügt über enorme Selbstheilungskräfte. "Wenn Sie nur gesund essen, ausgiebig Wasser trinken, in einer perfekt ausgeglichenen Umwelt mit dem richtigen Grad an Feuchtigkeit wohnen und arbeiten", nur dann, kontert sie, könne die Haut perfekt ohne Doping funktionieren. Doch wer lebt schon so korrekt in modernen Zeiten? Sie schaut herausfordernd.

Natürlich muss sie das sagen, sie ist an diesem Tisch die Markenbotschafterin, doch die Botschaft besitzt einen anderen Grad an Überzeugung, wenn eine Wissenschafterin ihre Kompetenz in die Waagschale legt anstatt eine Marketingangestellte mit Wirtschaftsdiplom. Wenn Kate Forbes redet, ihre Bobfrisur leicht schräg legt und ein ganz klein wenig wie der australische Superstar Sia aussieht, denkt man sofort darüber nach, seine Alltagsroutine zu überdenken.

Natürliche Zutaten

Genau deshalb ist der Markt für Pflegeprodukte in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Die Menschen überdenken ihre Ernährung, optimieren ihren Körper und pflegen ihre Erscheinung. Auch Männer haben keine Probleme mehr, sich mit Cremes zu verschönern. Marktforschungen gehen davon aus, dass der Markt für Schönheitsprodukte bis 2022 noch einmal um vier bis fünf Prozent wachsen wird, auf einen Wert von 430 Milliarden US-Dollar, das entspricht etwa 383 Milliarden Euro und ist damit etwas mehr, als der deutsche Staat im vergangenen Jahr ausgegeben hat.

Das Institut Allied Market Research stellt in einer Studie fest, dass sich insbesondere die Verwendung von natürlichen Zutaten als Trend durchsetzen wird. Petersiliensamen? Tamarindenholz? Rosmarin? Bei Aesop hat man von Anfang an auf diese Entwicklung gesetzt. Was sich zuerst wie ein Schulgartenprojekt las, entpuppte sich als richtige Entscheidung, das wachsende Umweltbewusstsein der Menschen zu berücksichtigen.

Vor 15 Jahren habe man begonnen, mit Antioxidantien zu arbeiten, die in der gesunden Ernährung eine wichtige Rolle spielen, und viel mit Weintraubenkernen experimentiert, erzählt Kate Forbes. Gerade arbeite das Team an Algenextrakten, die gut dehydrierte Haut erneuern. Das sei eine zeittypische Schädigung, denn immer mehr Menschen verbringen Stunden in klimatisierten Flugzeugen, Hotels oder Einkaufszentren.

Rechts das neue Parfum HWYL, links ein Körperpeeling.
Foto: Aesop

Auf dem Markt für Schönheitsprodukte herrschen momentan zwei Strömungen vor: die Hautaufhellung, die besonders im asiatischen Raum gefragt ist, und das Antiaging, um Alterserscheinungen zu vertuschen. "Beide Kategorien beliefern wir nicht", sagt Kate Forbes und ist ziemlich stolz darauf. "Denn das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Altern ein Problem sei." Das gehe gegen die Philosophie von Aesop.

Trotzdem oder gerade deshalb wächst der Markt für Aesop ständig. Seit Anita Roddick in den späten 80er-Jahren mit ihrem Bodyshop-Konzept die Tierversuche aus der Kosmetik verbannt hat, gab es kein Geschäftsprinzip mehr, dass die milliardenschwere Industrie so sehr ins Schwanken gebracht hat.

Apothekenoptik

Inzwischen boomen überall auf der Welt kleine und größere Manufakturen mit ähnlichen Ideen. Korres aus Griechenland stellt seit 1996 erfolgreich Naturkosmetik her, Rudolf Hauschka produziert bereits seit 1935 natürliche Schönheitspflege für einen recht überschaubaren Kundenstamm – übrigens in Zusammenarbeit mit der Wiener Kosmetikherstellerin Elisabeth Sigmund.

Wie Aesop setzen diese Firmen auf eine Apothekenoptik, doch nur wenige gehen in ihrem Streben nach Glaubwürdigkeit so weit wie die Australier, die konsequent auf Werbung verzichten. "Bei uns soll ein Produkt wenigstens zwölf Jahre in den Läden bleiben, nur ganz wenige Linien haben wir bisher eingestellt", sagt Kate Forbes. Mehr als vier Produktplatzierungen innerhalb von zwölf Jahren, ach nein, das muss nicht sein. Es ist, als würde Aesop Angst haben, die falsche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Deshalb lautet die Firmenpolitik: Kein Make-up wird verkauft, und kein Kunde wird geschlechtsspezifisch angesprochen.

Die Begeisterung für Aesop kennt bisher wenige Grenzen, scheint es. Nur eines nervt: die hochtrabenden Zitate auf jedem Produkt. Dennis Paphitis hat angeblich selbst darauf bestanden. Der ehemalige Philosophiestudent hat einmal den Witz gemacht: "Wenn ich meine wahre Berufsbezeichnung enthüllen wäre, würde es wohl Direktor für Zitatensuche sein." (Ulf Lippitz, RONDO Exklusiv, 27.10.2017)

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