Intensive Szenen sind in der Regie von Karoline Gruber einige zu erleben: Alexej (Misha Didyk) im Rausch des großen Gewinns.

Foto: Pöhn

Eine rätselhafte, aber auch begehrte Figur ist diese tragische Polina (Elena Guseva).

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Wien – Das recht wild durchkomponierte Jugendwerk Sergej Prokofjews (er war 26 Jahre, als er den Spieler vollendete), wirkt an der Wiener Staatsoper wie ein Museum des Zerfalls: Opulent tönt es aus dem Graben, Wellen juvenilen Orchesterübermuts (des frühen 20. Jahrhunderts) schwappen effektvoll auf die Bühne, für die aber ein riesiger Spiegel – zerbrochen – die Rückwand bildet.

Karussellpferdchen (später übergroße Türen) drehen da unentwegt ihre putzigen Runden. Eines liegt jedoch fragmentiert herum zwischen zerbröselten Säulen (Bühnenbild: Roy Spahn). Hier liegt einiges im Argen. Doch zwischen alledem lässt sich eine Suchtgesellschaft unbeirrt bei ihren Festen auf schwankendem Illusionsboden von Dienstboten bedienen. Auf deren Rücken wird devot Champagner serviert.

Alles dreht sich, alles bewegt sich in diesem Ambiente – aber fern eines derben Realismus. In ihrer Surrealität verbreitet die Inszenierung vielmehr jene groteske Tragikomik, die etwa im Film Grand Budapest Hotel eingefangen wurde oder bei Meister Fellini zu finden ist. Eingefangen scheint hier auch der kindliche Traum von utopischem Glück, dem hier spielsüchtig nachgejagt wird.

Von Obsessionen

Der Spieler erzählt aber nicht nur von Existenzen zerstörender Roulettefixierung. Er handelt von der Obsession an sich, die sich am deutlichsten in der Figur des Alexej offenbart: Er lässt auf Befehl der von ihm begehrten Polina Selbstachtung und Hüllen fallen – Letzteres, um sein Verhalten skandalös anzulegen. Womöglich würde Alexej (vokal glänzend und von hoher Präsenz Mischa Didyk) sich für Polina auch auf deren Befehl von gefährlichen Klippen stürzen. Die Grenzenlosigkeit seiner Liebesempfindung stellt Didyk durchaus expressiv dar.

Zum Finale, wenn er das große Geld gemacht hat und das Karussell die ganze Bühne dominiert und Spielsüchtige wie Untote dahertorkeln – dann erreicht dieser Alexej jedoch das Höchste seiner Glücksgefühle. Das Glücksspiel hat gewonnen, die Beziehung zu Polina hat verloren.

Zu sehen ist also: Regisseurin Karoline Gruber begnügt sich nicht damit, einen reizvoll vieldeutigen Rahmen mit Figuren zu dekorieren. Sie modelliert Szenen und Figuren im Sinne einer Vertiefung der Gefühlswelten.

Der Spieler – basierend auf Fjodor Dostojewskis gleichnamigem, autobiografisch gefärbtem Roman – wird zur Studie einer sich abschottenden Gesellschaft, die kollektiv scheitert. Da wäre der lächerliche, sich aufplusternde General (tadellos Dmitry Ulyanov), der hofft, eine bald Sterbende beerben zu können. Diese altehrwürdig-resolute Babulenka (sehr eindringlich Linda Watson) taucht jedoch auf, um zu enterben und ihre wiedergewonnene Kraft selbst am Spieltisch zu zelebrieren, aber auch zu verlieren.

Imposante Gesänge

Da wären jedoch auch der schmierige Marquis (solid Thomas Ebenstein) und die flatterhafte Blanche (etwas herb Elena Maximova) wie auch Mr. Astley (profund Morten Frank Larsen). Insbesondere wäre da auch die rätselhaft-vielschichtige Polina, die am Ende aller Träume in Alexejs Würgegriff vergeblich nach Luft ringt. Die imposant singende Elena Guseva ist der sympathische Gegenpol zu Alexej und ein integraler Teil einer tollen Inszenierung, mit der die Wiener Staatsoper einen sehr gelungenen Premierenstart hinlegen konnte.

Diesem Karussell der destruktiven Süchte sind Dirigentin Simone Young und das Wiener Staatsopernorchester ein durchaus behutsamer Partner. Diese Konversationsoper mit ihren im Einzelnen zerstückelt wirkenden Strukturen und Richtungswechseln, die in Summe dann aber doch wieder organisch wirkt, tönt nie flach oder fragmentiert.

Es dominiert ein durchwegs klangschöner Grundton, der zusätzlich alle komplexen Richtungs- und Ausdruckswechsel im Sinne der Bühnenenergie zur Entfaltung bringt. Ziemlich großer Applaus für alle bei der ersten Premiere der Saison. (Ljubiša Tošić, 5.10.2017)