Zum Tagespolitischen will Alfred Dorfer nicht zurückkehren. Seine Bühnenstücke sollen längere Haltbarkeit aufweisen.

Foto: Heribert Corn

Wien – Sieben Jahre sind seit Alfred Dorfers letztem Soloprogramm vergangen. In der Zwischenzeit hat er eine Doktorarbeit über Satire in totalitären Systemen geschrieben und an den Unis in Graz und Klagenfurt auch selbst unterrichtet. Zuletzt erhielt er den Deutschen Kabarettpreis. Im Februar hatte Dorfer mit seinem neuen Stück "und ..." in München Premiere, am 17. Oktober präsentiert er es im Wiener Stadtsaal, zwei Tage nach der Nationalratswahl. Es wird politisch, aber nicht tagesaktuell, wie Dorfer vorausschickt.

STANDARD: Worum geht es in dem neuen Programm?

Dorfer: Die oberflächliche Ebene ist eine Umzugssituation. Ein Mensch und zwei Bananenkisten auf der Bühne. Er wartet wie bei "Godot" auf die Speditionsfirma. Das ist dann eine gute Gelegenheit, den Istzustand mit dem Soll abzugleichen. In der zweiten Hälfte bezieht er eine leere, neue Wohnung. Hier wird die Illusion des Neuanfangs beschrieben, wo man sagt: So, jetzt lässt man die Dinge hinter sich und beginnt etwas ganz Neues. Diese Situation ist jedem bekannt. Ein Wohnungswechsel ist auch für viele Menschen traumatisch. In der zweiten Hälfte soll es von dieser spezifisch privaten Situation zu einer allgemein politisch relevanten Analyse kommen.

STANDARD: Umzug als Metapher für die Migrationsproblematik?

Dorfer: Ja. Was immer wieder unter den Tisch fällt, ist, dass in der Migration und Integration große Fehler gemacht wurden, Nachlässigkeiten. Das sind hausgemachte Probleme, die von Politik und manchen Medien immer ignoriert wurden, um der Gegenseite keinen Brennstoff zu liefern. Seit Jörg Haider besteht dieser Reflex, wenn er etwas gesagt hat, war es lange Zeit von vornherein falsch, nur weil er es eben gesagt hat. Dieser Fehler wird stets wiederholt. Es ist eben nicht rechts, Probleme in der Integration anzusprechen, sondern evident.

STANDARD: Wie sehen Sie den Erfolg der rechten AfD in Deutschland?

Dorfer: Bei der deutschen Wahl wurde jetzt wieder etwas aufgekocht, das die ganze Zeit geschlummert hat. Jetzt wird langsam offenkundig, dass "die deutsche Einheit" ein 30-jähriges Märchen war. Der Osten ist mehrheitlich mental nie in der Bundesrepublik angekommen. Wesentlich dabei ist, dass die DDR ein ethnisch homogener Staat war. Dass dort, wo der Ausländeranteil sehr niedrig ist, die Fremdenfeindlichkeit relativ hoch ist, ist ein altes Phänomen. Leider schlägt sich auch der wirtschaftliche Erfolg für die einzelnen Leute in Dresden oder Halle nicht besonders nieder. Daher hat man dort ein sehr skurriles Wahlergebnis, nämlich dass die extreme Linke und die extreme Rechte sehr stark sind.

STANDARD: Woran kranken die großen Volksparteien?

Dorfer: Am Konkubinat mit den wirtschaftlich Mächtigen. Das ist ein Grund für das enorme Unbehagen, das sich die letzten Jahre ausgebreitet hat und dessen Gründe vielen nicht bekannt sind. Nicht, weil sie dumm sind, sondern weil man sie in einen Existenzkampf manövriert hat, der ihre Kapazitäten primär besetzt. Auch das führt zu einem Glaubwürdigkeitsproblem der Volksparteien, da man ihnen kein Lösungspotenzial mehr zutraut.

STANDARD: Die SPD hat bei der Wahl relativ viele Stimmen an so ziemlich alle Parteien verloren. Zeugt das von dieser Problematik?

Dorfer: Genau. Wenn du quasi zu allen Parteien relevante Abwanderer hast, dann weißt du, was für ein Sammelbecken Volksparteien eigentlich sind und dass du auf mehreren Beinen stehen und jedes Bein bedienen musst. Und es dann auch nicht mehr genügt, nur von sozialer Gerechtigkeit zu schwafeln.

STANDARD: Sind die Volksparteien zu wenig unterscheidbar?

Dorfer: Ja. Vermutlich ist es die richtige Lösung, alle großen Koalitionen aufzubrechen. Große Koalitionen waren dann unentbehrlich, als man die Bündelung aller relevanten Kräfte benötigte, um ein Land wiederaufzubauen, wie nach dem Krieg. In einer Phase, in der wir uns jetzt befinden, ist, glaube ich, eine Fortsetzung von Rot-Schwarz fatal. Eben aus diesem Grund der mangelnden Unterscheidbarkeit und Stagnation.

STANDARD: Mit der Bildung von Schwarz-Blau sind Sie damals auf tagesaktuelles Kabarett umgeschwenkt. Würde das bei einer Neuauflage auch so sein?

Dorfer: Nein, ich werde ganz sicher nicht zum tagespolitischen Kabarett zurückkehren. Und zwar deswegen, weil sich auch vieles geändert hat: zum Beispiel, dass es die neuen Medien gibt. Mit tagesaktuellem Kabarett würde man dem bereits Gesagten sehr oft hinterherhinken. Für mich ist es wesentlich sinnvoller zu versuchen, die Prozesse und Mechanismen hinter den tagesaktuellen Dingen zu erfassen, die dann in drei Monaten noch genauso gelten wie vielleicht in drei Jahren.

STANDARD: Viele Ihrer Kabarettgeneration haben in den letzten Jahren versucht, irgendetwas anders zu machen: Hader forciert den Film, Scheuba tendiert zu journalistischen Formaten, Düringer will Politik machen, Sie haben an der Uni unterrichtet. Warum bewegen Sie sich alle eher weg vom Kabarett?

Dorfer: Das liegt daran, dass viele von uns ausgebildet sind und keine Autodidakten, das schafft mehr Möglichkeiten. Einige haben Schauspielausbildungen oder irgendetwas anderes daneben gemacht. So war es bei uns eigentlich von Anfang an klar, dass wir auch versuchen andere Medien zu erschließen, wie zum Beispiel den Kinofilm oder Fernsehen. Wir selbst haben uns ja auch nie als Kabarettisten bezeichnet, das wurde uns eher umgehängt. Wir betrachteten uns als Volksschauspieler oder Satiriker, aber nicht unbedingt als Kabarettisten. Das war – wenn man so will – das Label, damit die Leute wussten, was sie hier zu sehen bekommen. Vom Publikum her bestand damals in den Neunzigerjahren übrigens großes Interesse am Unbekannten, an neuen Dingen. Das ist heute nicht mehr so sehr der Fall.

STANDARD: Warum nicht? Wie hat sich das Publikum verändert?

Dorfer: Die Ausgehgewohnheiten, die Freizeitgestaltungsvielfalt und natürlich die finanzielle Situation der Leute haben sich geändert. Es ist einfach weniger Geld da, und die Kultur ist die erste Sparmöglichkeit. So scheint es mir logisch, dass eher auf Bekanntes gesetzt wird.

STANDARD: Wie viel Zynismus hat sich bei Ihnen ob der Verhältnisse mitunter eingeschlichen?

Dorfer: Zynismus gehört zur Grundausstattung, aber nur zu einem geringen Teil. Wenn er zum Selbstzweck verkommt, macht sich der Satiriker zum Maß der Dinge. Das mindert die Qualität gewaltig, weil der Motor im Grunde Verachtung ist. Und Skandalismus und Destruktivität sind die Folge. Das ist dann Satire für eine kleine Gruppe, die sich für besonders schlau hält, ohne dafür Beweise vorbringen zu können.

STANDARD: Sind die Zeiten für Satiriker komplizierter geworden, weil es keine vermeintlich einfachen Antworten mehr gibt?

Dorfer: Es gab nie die wirklich einfachen Antworten, und es wäre die Aufgabe der Satire, in diesem Dickicht für etwas mehr Klarheit zu sorgen. Daher sind es besonders gute Zeiten für die Satire.

STANDARD: Was halten Sie von reinen Satireparteien wie Die Partei?

Dorfer: Nichts. Satire ist nicht Politik, und Politik ist nicht Satire.

STANDARD: Wie sehen Sie das Politprojekt Liste Gilt Ihres Kollegen Roland Düringer?

Dorfer: Bei weitem nicht so kritisch wie manche andere. Schlimmer finde ich den Weg des ewigen Kritisierens, ohne jemals in die Aktion zu gehen. Direkter Demokratie kann ich sehr viel abgewinnen, wiewohl ich natürlich weiß, dass sie nicht unanfällig gegenüber Demagogie ist. Unser Problem ist, dass wir die Bevölkerung generell nicht für kompetent halten, Dinge zu entscheiden. Wahrscheinlich ist der Mittelweg der beste.

STANDARD: Statt in die Politik zu gehen, haben Sie sich für die Wiederaufnahme des Studiums entschlossen und promoviert. Wie hatte sich der Uni-Betrieb seit damals verändert?

Dorfer: Es hat sich zum Negativen gewandelt. Ich war ja immer der Meinung, dass Zugang zur Bildung keine Geldfrage sein sollte. Damals, als Studiengebühren eingeführt wurden, haben wir auch einen Hilfsfonds für Studenten eingerichtet. Trotz Studiengebühren haben sich aber die Gegenleistungen der Unis nicht verbessert. Es gab eine Entpersonalisierung des Unterrichts oder große Verheißungen wie E-Learning, die sich als Trugschluss herausgestellt haben. Zudem leiden die Unis an einer Zunahme an Bürokratie und Formalisierung.

STANDARD: Was wäre bei der Bildung zu tun?

Dorfer: Bildung sollte als einheitlicher Komplex gedacht werden, vom Vorschulalter bis zum akademischen Grad oder der Lehre. Man muss die Diskussion auch von jeder Ideologie entkoppeln. Wo braucht es Ausbildung im engen Sinn, damit die Leute auf dem Arbeitsmarkt bestehen können, und wo braucht es weiter gefasste Bildung, die abseits der ökonomischen Verwertbarkeit passieren kann oder muss? Bei Letzterem sehe ich einen dramatischen Abbau. Karl-Heinz Grasser hat seinerzeit abschätzig über sogenannte Orchideenfächer gesprochen. Genau das ist der Geist, der über diesen schmutzigen Wassern schwebt. (Stefan Weiss, 7.10.2017)