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Premier Bjarni Benediktsson. Ende Oktober wählen die Isländer erneut ein Parlament, weil die bestehende Koalitionsregierung zerbrochen ist.

Foto: Reuters / Shannon Stapleton

Wien – Bjarni Benediktsson hatte entweder sehr viel Glück mit seinem Timing oder ein Insider hat ihn gewarnt. Im ersten Fall steht der weiteren politischen Karriere des amtierenden konservativen isländischen Premierministers nichts im Weg. Im zweiten Fall aber könnte sich ein Politskandal rund um Benediktsson entwickeln, der das kleine nordische Land erneut tief erschüttern wird.

Wie isländische Medien und der "Guardian" am Freitag berichteten, soll Premier Benediktsson im Jahr 2009 Wertpapiere, die er über einen Fonds bei der Pleitebank Glitnir gehalten hat, nur wenige Stunden, ehe der isländische Bankensektor notverstaatlicht wurde, verkauft haben. Mit der Notverstaatlichung wurden größere Banktransaktionen von den Behörden untersagt. Der "Guardian" beruft sich auf ihm zugespielte Dokumente, die zeigen, dass der Politiker am 2. und am 6. Oktober insgesamt 51 Millionen isländische Kronen (rund 400.000 Euro nach heutigem Kurs) aus dem Fonds abgezogen hat.

Sturz über Briefkastenfirma

Am 6. Oktober, nur wenige Stunden nach der zweiten Transaktion, wurde Islands gesamter Finanzsektor notverstaatlicht. Damit stellt sich die Frage, ob Benediktsson, der 2008 Parlamentsabgeordneter war, vorab Kenntnis von der Aktion hatte. Der Fonds bei der Glitnir-Bank wurde später Teil der Konkursmasse des Kreditinstituts. Investoren erhielten nur 85 Prozent ihres Investments zurück, Benediktsson ersparte sich also eine Menge Geld. Auch sein Onkel zog rechtzeitig Mittel ab.

Im vergangenen Jahr war bereits ein isländischer Premier, Sigmundur Davíð Gunnlaugsson, über eine Finanzaffäre gestolpert. Im Zuge der Panama Papers wurde bekannt, dass Gunnlaugsson an einer Briefkastenfirma beteiligt gewesen war. Gunnlaugsson hatte die Existenz der Firma geleugnet – und musste nach Protesten gehen. Aus den Neuwahlen ist Benediktssons Unabhängigkeitspartei siegreich hervorgegangen.

Die vielen Affären der Politiker in Zusammenhang mit Finanzdeals beschäftigen die isländische Gesellschaft, seitdem das Land 2008 beinahe in die Staatspleite geschlittert war. Damals waren im Zuge der Krise die Banken kollabiert. Die Finanzinstitute hatte Schulden in Höhe des Zehnfachen der Wirtschaftsleistung angehäuft. Neben Glitnir erlangten auch Pleiteinstitute wie Landsbanki und Kaupthing Berühmtheit.

Viele Isländer hatten in ihre Banken oder am Finanzplatz investiert, weshalb die Krise das Land besonders hart traf.

Vom Fischen zum Finanzwesen

Island war lange Zeit eine verschlafene kleine Volkswirtschaft, das von der Fischereiindustrie lebte. Kurioserweise ebneten die Fische Islands Weg in die Welt der Hochfinanz. Mitte der 1980er-Jahre schlitterte die Fischereibranche in die Krise. Überfischung hatte den Bestand an Kabeljau, einem der wichtigsten Exportprodukte, dezimiert.

Als Reaktion führte Island eine absolute Fangquote für Kabeljau ein: Jedem Boot wurde ein Anteil an dieser Quote zugewiesen, so viel durfte der Bootseigentümer dann aus dem Wasser ziehen. Wie sich mit der Zeit aber herausstellte, hatte das Modell einen Haken: Schiffe können sinken oder ihre Eigentümer krank werden.

Da die Fangquoten den Booten zugewiesen wurden, verfielen sie, sobald ein Schiff nicht auslief. So wurde 1991 etwas Entscheidendes geändert: Fische, genauer gesagt, Fangquoten wurden zu handelbaren Wertpapieren gemacht.

Die Bootseigner konnten mit ihren Fischereiquoten handeln. Isländische Sozialforscher erzählen, dass dieser Handel das Land veränderte. Auch für kleinsten Betriebe wurde es zum Alltag, Wertpapiergeschäfte zu machen. Größere Transaktionen wurden mithilfe der Banken finanziert, die durch das Fischgeschäft groß geworden sind. (szi, 6.10.2017)