Barcelona/Madrid – Hunderttausende Menschen haben in Katalonien die Pläne der Regionalregierung zur Abspaltung von Spanien mit einer eindrucksvollen Großkundgebung gekontert. Auf ihrem Marsch durch das Zentrum der Regionalhauptstadt Barcelona skandierten die Demonstranten am Sonntag unter anderem "Ich bin Spanier" und "Viva Espana".

Tosender Jubel brach in der Menge aus, als der peruanisch-spanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa zum Abschluss der Kundgebung kämpferisch rief: "Keine separatistische Verschwörung wird die spanische Demokratie zerstören können."

"Schweigende Mehrheit"

Zur Kundgebung der "schweigenden Mehrheit" hatte die katalanische Zivilgesellschaft aufgerufen, die 2014 als Gegenbewegung zum zunehmenden Separatismus ins Leben gerufen wurde. Der Vizepräsident der Organisation, Alex Ramos, gab die Zahl der Teilnehmer mit "930.000 bis 950.000" an. Die Stadtpolizei sprach von rund 350.000 Demonstranten. Die Menschen forderten lautstark die Festnahme von Regionalregierungschef Carles Puigdemont. Es waren in der großen Mehrheit Katalanen, viele Teilnehmer waren aber auch aus anderen Regionen Spaniens in Dutzenden von Bussen und Zügen angereist.

Am vorigen Sonntag hatte Puigdemont ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen. Bei der von den Gegnern der Abspaltung mehrheitlich boykottierten Befragung gewann das "Ja"-Lager mit rund 90 Prozent, die Beteiligung lag nur jedoch bei nur 43 Prozent. Puigdemont berief unterdessen für Dienstagabend eine Sitzung des Regionalparlaments ein, bei der möglicherweise die Unabhängigkeit ausgerufen werden soll.

"Werden das Gesetz befolgen"

Der 54-Jährige bekräftigte am Sonntag, dass er seine Pläne allen Hürden zum Trotz durchziehen wolle. "Die Unabhängigkeitserklärung (...) ist im Referendumsgesetz vorgesehen. Wir werden das Gesetz befolgen", sagte Puigdemont in einem Interview des Fernsehsenders TV3, das am späten Abend ausgestrahlt werden sollte und im Voraus in Auszügen veröffentlicht wurde. Er bezog sich auf das Anfang September vom Regionalparlament in Barcelona verabschiedete Gesetz, das als rechtliche Grundlage für die Abstimmung gelten sollte, vor der Volksbefragung aber als illegal außer Kraft gesetzt worden war.

In einem Interview der Zeitung "El País" wies Ministerpräsident Mariano Rajoy alle Aufrufe zum Dialog mit den Separatisten erneut scharf zurück. "Spanien wird nicht geteilt werden und die nationale Einheit wird erhalten bleiben", fügte er hinzu. "Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden gesetzgeberischen Instrumente nutzen, um das sicherzustellen." Er halte es auch nicht für ausgeschlossen, Artikel 155 der Verfassung anzuwenden, um Katalonien die Autonomie abzuerkennen. "Ich schließe nichts innerhalb der Gesetze aus."

Die erste große Kundgebung der Unabhängigkeitsgegner überhaupt in Katalonien fand unter dem Motto "Basta! Kehren wir zur Vernunft zurück" statt. Auch Rajoys konservative Volkspartei (PP) sowie deren parlamentarische Verbündete Ciudadanos unterstützen die Demonstration. Mehrere Teilnehmer sagten der Deutschen Presse-Agentur, sie seien Katalanen, wollten aber keine Unabhängigkeit. Sie hätten am vorigen Sonntag nicht gewählt, weil es da nicht mit rechten Dingen zugegangen und das Referendum illegal gewesen sei.

Die Demonstranten trugen unzählige spanische, aber auch sehr viele katalanische Fahnen und sogar einige der EU. Es gab Plakate mit Aufschriften wie "Gemeinsam sind wir stärker", "Katalonien bleibt spanisch" oder "Nie wieder Schweigen".

Bei der Abschlusskundgebung vor dem Bahnhof Estacio de Franca rief Vargas Llosa in Anspielung auf eine in Katalonien einsetzende Firmenflucht: "Wir wollen nicht, dass Unternehmen aus Barcelona fliehen, als handle es sich um eine im Mittelalter von der Pest belagerten Stadt."

Am Samstag hatten Zehntausende Menschen in zahlreichen Städten Spaniens für einen Dialog zwischen Spanien und Katalonien demonstriert. (APA. 8.10.2017)