Mit seiner Partei Ano trat Andrej Babiš das erste Mal bei den Parlamentswahlen 2013 an und erreichte aus dem Stand den zweiten Platz.

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Der sozialdemokratische Premier Bohuslav Sobotka konnte seine Beliebtheit seit den vergangenen Wahlen nicht halten.

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Andrej Babiš weiß, wie man seinen politischen Gründungsmythos pflegt. Die Geschichte jenes Septemberabends im Jahr 2011 hat er schon ziemlich oft erzählt. Sie geht etwa so: Babiš kam kurz vor Mitternacht nach Hause, die Familie schlief bereits, nur die Hunde begrüßten ihn. Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank, schaltete den Fernseher ein – und ärgerte sich gewaltig über ein Interview mit dem damaligen konservativen Präsidenten Václav Klaus, der erklärte, die Korruption sei in Tschechien keineswegs schlimmer als in westlichen EU-Staaten.

Babiš, der zweitreichste Mann des Landes, der sein Milliardenvermögen in der Agrarindustrie angehäuft hat, schildert diese harmlose Episode gern als traumatisches Erlebnis, das ihn veranlasste, eine eigene Partei zu gründen. Für ihn war Klaus an jenem Abend nur einer von vielen Repräsentanten der alten Garde, jener Parteien, die sich nach der Wende des Jahres 1989 die Macht teilten und seither – so die Babiš-Version – nicht mehr von ihr lassen möchten. Er selbst "wollte überhaupt nicht in die Politik", schreibt er in seinem neuen Buch Wovon ich träume, wenn ich zufällig schlafe, das gratis verteilt wird und auch durch Inhalt und äußere Anmutung eher einer 280 Seiten starken Wahlkampfbroschüre gleicht. Aber bald habe er erkannt, dass er dort "wohl oder übel" hinmüsse.

Politische Mitte

Erstaunlicherweise scheint diese Rhetorik bis heute zu funktionieren. Die Babiš- Partei Ano, das heißt auf Tschechisch "Ja" und ist gleichzeitig die Abkürzung für "Aktion unzufriedener Bürger", führt vor den Parlamentswahlen am 20. und 21. Oktober souverän vor den Sozialdemokraten (ČSSD) von Premier Bohuslav Sobotka. Sie präsentiert sich immer noch als Anti-System-Partei, obwohl sie seit 2014 an der Regierung beteiligt ist, obwohl Babiš bis Mai 2017 Finanzminister war und obwohl er mit seinem Imperium, das er vorläufig treuhändisch abgegeben hat, auch zwei Tageszeitungen und einen Radiosender kontrolliert.

Babiš hat es geschafft, sich in die politische Mitte zu setzen, und streckt von dort seine Fühler in alle Richtungen aus. An der Flüchtlingsquote der EU etwa lässt er kein gutes Haar – was er mit so gut wie allen Parteien gemein hat. Dafür gilt er als klarer Befürworter von EU-Binnenmarkt und freiem Personenverkehr im Schengenraum. Möglichst wenige Barrieren für die Wirtschaft propagiert er, gleichzeitig versucht er, auch sozialpolitische Kompetenz zu vermitteln. Sein vielleicht spektakulärster Coup als Finanzminister war die Elektronische Umsatzevidenz (EET): Jede ausgestellte Rechnung wird in Sekundenbruchteilen der Finanzverwaltung übermittelt, nachträgliche Manipulationen werden somit unmöglich.

"Gläserne Buchführung"

Adam hat einen kleinen Feinkostladen im Prager Bezirk Vinohrady. Sein Tablet steckt in einem schlichten Holzstativ und ist sein direkter Draht zur Behörde. Mit dem System ist er zufrieden. "Wer über die relativ niedrigen Anschaffungskosten und über die gläserne Buchführung jammert, sollte vielleicht kein Geschäft betreiben", sagt er. Laut dem Steuerexperten Tomáš Frkal hat die EET auch den Vorteil, dass mehr Geld in die Sozialkassen fließt: "Firmen haben nicht mehr das Schwarzgeld, aus dem sie früher oft Teile des Gehalts unter der Hand ausgezahlt haben", erklärt Frkal dem STANDARD. Ergebnis: Viele Arbeitnehmer werden zu höheren Gehältern angemeldet, was sich positiv auf Karenzgeld und Pensionshöhe auswirke.

Vorwürfe, Babiš habe für das mittelböhmische Freizeitareal Čapí hnízdo ("Storchennest") unrechtmäßig EU-Fördergelder für Klein- und Mittelbetriebe bezogen, konnten dem Kandidaten bisher wenig anhaben. Er hat zwar seine parlamentarische Immunität verloren und wird von der Polizei des Betrugs beschuldigt, seine Umfragewerte aber gingen nur leicht zurück.

Fünf-Prozent-Hürde

Viele Beobachter gehen davon aus, dass eine Fortführung der derzeitigen Koalition aus ČSSD, Ano und Christdemokraten (KDU-ČSL) die wahrscheinlichste Variante sei – wenn auch mit neu verteilten Rollen, sprich mit Ano an der Spitze. Die Christdemokraten müssen allerdings noch um ihren neuerlichen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde bangen. Dasselbe gilt für die rechtsliberale Top 09, für die auch Ex-Außenminister Karl Schwarzenberg wieder antritt. Im Abgeordnetenhaus vertreten sein dürften auch die Kommunisten (KSČM), die Bürgerdemokraten (ODS), die Piraten und die Partei für Freiheit und direkte Demokratie (SPD) des Tschecho-Japaners Tomio Okamura, die fremdenfeindlich auftritt und für den Austritt aus der EU wirbt. (Gerald Schubert aus Prag, 10.10.2017)