Blau für den Jungen, Rosa für das Mädchen: Verfestigte Rollen zu durchbrechen sei wirtschaftlich schwierig, meinen Produzenten.

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Köln – "Girls & Boys" statt "Mädchen" oder "Buben": Die englische Kaufhauskette John Lewis hat Geschlechter-Kategorien weitgehend abgeschafft. Mädchen dürfen dort nun auch offiziell Blaues kaufen, Buben sich in Rosa einkleiden. "Wir wollen nicht länger Geschlechtsstereotypen befeuern," erklärte die Kindermode-Chefin Caroline Bettis in britischen Medien. An der Kleidung selbst habe sich dadurch nicht viel verändert und online werden weiterhin die Kategorien Buben- und Mädchenkleidung angeboten – nur die Entscheidungsfreiheit für Kinder und Eltern sei nun größer, teilte das Unternehmen mit.

Mit ihrer fortschrittlichen Aktion zählt die Bekleidungsfirma zu einer Minderheit – der Marketingtrend zeigt in die gegensätzliche Richtung: "Die Geschlechtertrennung hat in den letzten Jahren sogar deutlich zugenommen, sowohl bei Kleidungsstücken als auch bei Spielwaren", sagt Stefan Hirschauer vom Arbeitsbereich Soziologische Theorie und Gender Studies an der Uni Mainz. Er beobachtet bei diesem Thema ein "Re-Gendering" – ein erneutes Vergeschlechtlichen von Dingen, die ihre Geschlechtszuordnung eigentlich schon verloren hatten.

Re-Gendering aus Unsicherheit

Obwohl oder gerade weil sich die klassische Rollenverteilung in der Gesellschaft seit Jahrzehnten in Bereichen wie Beruf oder Kindererziehung immer mehr auflöse, haben viele Menschen nostalgische Bedürfnisse und suchen Sicherheit in überholten Klischees, so Hirschauer: "Kinder sind für Erwachsene die Projektionsflächen einer heilen Gender-Welt. An ihnen wird etwas ausgelebt, was die Eltern sich mühsam abzutrainieren versuchen."

In der Wirtschaft wurde längst auf diese Verunsicherung vieler Menschen mit starkem Gender-Marketing reagiert, ist Stevie Schmiedel überzeugt. Sie ist Gründerin der Initiative Pinkstinks, die gegen Sexismus in Medien und Werbung kämpft. "Es gab noch nie ein so starkes Gender-Marketing wie zurzeit". Gerade in Bezug auf Kinder gebe es großen gesellschaftlichen Widerstand, klassische Geschlechterrollen zu hinterfragen. Eltern haben häufig keine Möglichkeit, dieses Muster zu durchbrechen.

Nachfrage bleibt traditionell

Auch von Seiten des Handels wird argumentiert, dass letztlich die Nachfrage bestimme, welche Produkte produziert werden – und die komme nicht nur von Eltern. Kindersachen würden oft auch von Tanten, Onkeln oder Großeltern gekauft, "die denken da vielleicht eher traditionell", meint Jürgen Dax, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Textil in Deutschland.

Damit zu brechen wäre für die Produzenten fatal, meint auch Willy Fischel, Geschäftsführer des deutschen Bundesverbands des Spielwaren-Einzelhandels: "Eine Dampflok in rosa wäre vielleicht kreativ, wirtschaftlich aber nicht darstellbar, wenn sie keiner kauft." (APA, nch, 12.10.2017)