In Budapest wird für den Erhalt der Central European University (CEU) friedlich demonstriert.

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Wenn Dominik Brenner dieser Tage in Budapests Kaffeehäusern sitzt, um mit seinen Studienkollegen zu diskutieren, ist vieles anders als in den Jahren davor. Seit 2014 studiert Brenner, der in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen ist, an der Central European University (CEU) in Ungarn. Budapest sei mittlerweile sein Zuhause geworden, sagt der 27-Jährige, der Großteil seines sozialen Lebens spiele sich hier ab.

Die Unbeschwertheit des Studierens ist vorläufig dahin: Obwohl der CEU-Rektor Michael Ignatieff Mitte September, als er den neuen Schwall an Studierenden – 769 an der Zahl – begrüßte, noch diplomatisch auf die "kleine lokale Schwierigkeit" hinwies, spürten alle das über ihnen schwebende Damoklesschwert deutlich. Immerhin steht die renommierte Elite-Uni vor der Schließung – zumindest in Budapest.

Was war geschehen? Vor einigen Monaten hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ein Gesetz verabschiedet, das internationalen, in Ungarn ansässigen Universitäten vorschreibt, einen Hochschulbetrieb in ihrem Heimatland zu unterhalten. Nur eine Hochschule im Land erfüllt diese Bedingung nicht: die CEU (wobei allerdings am Freitag verkündet wurde, dass die Uni ein Jahr länger Zeit hat, also bis Anfang 2019, um die neuen Bedingungen zu erfüllen).

Dass Orbán gegen die Universität aktiv wird, hat dem Vernehmen nach viel damit zu tun, dass ihr Gründer George Soros heißt. Der jüdisch-amerikanische Investor und Philantrop, in Budapest geboren und vor den Nazis geflohen, gilt in einigen osteuropäischen Ländern derzeit als Staatsfeind Nummer eins.

Strukturelles Problem

"Obwohl die Gesetzgebung in erster Linie auf die CEU abzielt, geht es um viel mehr: Bildungseinrichtungen in Ungarn werden dadurch generell infrage gestellt", sagt die 25-jährige Orsolya Lehotai. Sie hat Gender Studies an der CEU studiert und Proteste gegen die Schließung der Universität mitorganisiert. "Die Schließung wäre bloß der Anfang", befürchtet Lehotai.

Das Gesetz, das den Fortbestand der CEU in Ungarn bedroht, führe ein strukturelles Problem vor Augen, sagt Lehotai: "Die Regierung hat nicht nur ein Problem mit freien Universitäten, sondern auch mit demokratischen Debatten und Ideen. Der Austausch über konkurrierende Ansätze soll zunichtegemacht werden."

Orbáns Regierungspartei Fidesz kampagnisiert seit Monaten gegen einen angeblichen "Soros-Plan", der vorsehe, eine Million Migranten jährlich in Europa anzusiedeln und somit die nationale Identität Ungarns zu zerstören sowie Europa insgesamt zu destabilisieren. Was wie eine Verschwörungstheorie klingt, wird vorläufig in einer von der Regierung angekündigten Volksbefragung gipfeln, die den "Soros-Plan" zum Thema haben soll.

"Sie nennen uns die Soros-Universität", sagt Colleen Sharkey, Sprecherin der CEU, während sie auf den gelbgrün gestreiften Polstermöbeln im offiziellen Büro von George Soros sitzt, das offensichtlich wenig benutzt wird. Der Gründer sei bloß Ehrenvorsitzender und in tägliche Entscheidungen kaum eingebunden.

Die ungarische Regierung stößt sich aber nicht nur an Soros. Die 1991 gegründete Universität steht in der Tradition liberalen Gedankenguts. Als wissenschaftliches Vorbild dient der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper, der aktuelle Rektor ist ehemaliger Chef der liberalen Partei in Kanada.

Gesellschaftlicher Auftrag

Warum also in Ungarn bleiben, wenn man hier unerwünscht ist? "Es wäre nicht unmöglich, aber warum sollten wir gehen?", fragt Sharkey. "Es war eine bewusste Entscheidung, in Osteuropa zu sein. Das ist unser Zuhause." Gerade hat man Millionen in die Renovierung des Unigebäudes gesteckt. Mit den finanziellen Mitteln und der Reputation könnte man in viele Städte ziehen – auch Wien wäre eine Option.

Letztlich ginge es aber auch um eine Verantwortung gegenüber der ungarischen Zivilgesellschaft: "Wir sind eine der letzten verbleibenden freien Insitutionen", sagt Sharkey. Für Lehotai steht die CEU "als Symbol dafür, Menschen zu ermutigen, kritisch zu denken und in Diskussion zu treten."

Viele würden den Fehler machen zu glauben, Orbán sei zufrieden, wenn die CEU zusperren müsse, sagt Brenner. "Aber die Geschichte lehrt uns: Es hört nie auf. Wenn wir weg sind, sind die nächsten Universitäten dran."

Dass die ungarische Regierung mit ihrem Vorstoß möglicherweise zu weit gegangen sein könnte, zeigte sich bereits im Frühjahr, als 80.000 Demonstranten gegen die "Lex CEU" auf die Straße gingen. Überrascht war damals nicht bloß die Regierung, sondern auch die CEU selbst. Neben dutzenden Nobelpreisträgern hätten auch lokale Professoren von staatlichen Universitäten ihre Solidarität geäußert, erzählt Sharkey. "Wir wissen, dass einige von ihnen mit Sanktionen rechnen mussten."

Trotz internationaler Unterstützung scheint es weder Vor noch Zurück zu geben. Am Verhandlungstisch sitzt die CEU nicht selbst, sondern die ungarische Regierung und der US-Bundesstaat New York, in dem sie akkreditiert ist. Die CEU versucht inzwischen, möglichst unbeirrt weiterzumachen. So ging etwa die "Rethinking Open Society" -Veranstaltungsreihe gerade in die zweite Runde, im Zuge derer über klare Prämissen für eine offene Gesellschaft nachgedacht wird. (Vanessa Gaigg aus Budapest, 13.10.2017)