Es geht nicht nur darum, was auf dem Wahlplakat draufsteht, sondern insbesondere darum, was im Wahlprogramm drin ist.

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Zwei Drittel von 600 jüngst befragten Bürgerinnen und Bürgern finden, "dass es in Österreich ungerecht zugeht". Vor allem die Steuerpolitik empfinden 87 Prozent der Befragten in der "Research Affairs"-Studie als ungerecht, gefolgt von Wohnproblemen und der Flüchtlingspolitik, die von jeweils drei Vierteln der Befragten genannt wurden. Immerhin 58 Prozent vertreten die Meinung, dass es in der Familien- und Bildungspolitik ungerecht zugeht. Es ist daher naheliegend, dass alle Parteien das Thema "Gerechtigkeit" beziehungsweise "Fairness" im Munde und in den Wahlprogrammen führen. Doch entscheidend ist, was damit gemeint wird.

Das Versprechen, dass niemand zurückgelassen wird, war das Erfolgsgeheimnis des Wohlfahrtsstaates, der unsere Demokratien gefestigt hat. Das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik ist jedoch mittlerweile offensichtlich tief gesunken. Das liegt an der rapide wachsenden Größe der Probleme – etwa in Bezug auf den Klimawandel oder die sich zuspitzenden internationalen Konflikte –, aber zugleich am realen Gestaltungsverlust der Politik gegenüber Industrielobbys, Großkonzernen und Finanzmarktakteuren. Die Bankenkrise 2007 hat dies ebenso vor Augen geführt wie die internationale Praxis der Steuerhinterziehung. Diese Entmachtung der Politik meint der britische Politikwissenschafter Colin Crouch, wenn er von "Postdemokratie" spricht.

Agendaverschiebung

Wenn in den politischen Debatten Fragen wie Flüchtlingsobergrenzen oder Vorschläge, wie weitere Flüchtlinge am besten von Europa ferngehalten werden können, einen großen Teil der Aufmerksamkeit absorbieren, dann bringt das offensichtlich Zustimmung und Wählerstimmen bei jenen, die sich durch die Rasanz der Veränderungen durch Digitalisierung und Globalisierung bedroht fühlen. Die Probleme löst dies freilich nicht. Die Agendaverschiebung trägt vielmehr dazu bei, die schleichende Entmachtung der Parlamente zu verschleiern und die realen Verhältnisse vollends zu verkehren.

Ein Beispiel: Der Anteil der Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung macht 1,3 Prozent des österreichischen Budgets aus. Weniger als ein Drittel davon geht an Flüchtlinge. Laut OECD gab Österreich 2016 1,4 Milliarden für Flüchtlinge aus. Im Vergleich dazu beliefen sich die Kosten des Hochwassers 2002 auf 2,4 Milliarden Euro. Das Hypo-Debakel kostet die Steuerzahler ein Vielfaches.

Was ist zu tun?

Der Wahlslogan "Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein" ist nicht falsch. Er führt nur auf die falsche Fährte, wenn er gegen Mindestsicherungsbezieher oder gegen Flüchtlinge zielt und nicht gegen Konzerne und Privatvermögende, die ihre Vermögen und Gewinne "steuerschonend" anlegen können – und wenn jene außen vor bleiben, die ohne eigene Leistung zu großem Besitz kommen. Österreich ist mit knapp 50 Prozent Spitzenreiter in Bezug auf vererbtes Vermögen. Das heißt die Hälfte des Reichtums fällt Bürgern einfach zu, weil sie in die richtige Familie geboren wurden, während der Anteil der Lohnsumme an der Wertschöpfung kontinuierlich sinkt.

Es stimmt: Die Arbeitenden dürfen nicht die Dummen sein. Doch das erfordert faire, in der Tat leistungsgerechte Einkommen. Dass manche in den oberen Konzernetagen das 100-Fache und mehr der Normalverdienenden beziehen, kann nicht fair sein. Auch nicht, dass acht von hundert Berufstätigen in Österreich laut EU-Definition als arm gelten, also als "working poor", wie die Österreichische Armutskonferenz berichtet. Diese Menschen verdienen seriöse Antworten, die ihre Lage real verbessern und sie nicht mit Sündenbockstrategien abspeisen. (Hans Holzinger, 13.10.2017)