Wien – Über die Sinnhaftigkeit solcher Fahrzeuge braucht man gar nicht erst diskutieren, darauf wird es nämlich keine vernünftige Antwort geben, und bei aller Freude über das Fahrvergnügen beschleicht uns auch das schlechte Gewissen: 612 PS. Und statt eines Sechszylinders wie im Vorgängermodell hat unter der Motorhaube des neuen Mercedes-AMG E 63 S jetzt ein fetter Achtzylinder Platz genommen. Aber immerhin kein Diesel.
Es ist, so verkündet es Mercedes in aller Bescheidenheit, aber doch mit einem Anflug von Stolz, die stärkste E-Klasse-Variante aller Zeiten, schließlich gibt es etwas zu feiern. AMG, das ist jene Tochtergesellschaft der Daimler AG, die für die High-Performance-Fahrzeuge des Konzerns zuständig ist, feiert heuer das 50-jährige Bestehen.
Also residiert 2017 in der an sich biederen E-Klasse ein V8-Biturbo mit vier Liter Hubraum, der ein Drehmoment von 850 Newtonmeter entwickelt, was man getrost als gewaltig bezeichnen kann. Gekoppelt ist das Triebwerk an ein automatisches 9-Gang-Sportgetriebe. Wichtiger aber noch, um die Leistung annähernd auch auf die Straße bringen zu können, ist der serienmäßige Allradantrieb.
War der Allradantrieb bei Mercedes-AMG bisher optional und bei den M-Varianten von BMW gar nicht erhältlich, setzt AMG nun ausschließlich auf jenen Antrieb, der bei Mercedes 4Matic+ genannt wird. Angesichts der Leistung, die hier lauert, ist das beruhigend. Das System erlaubt die voll variable Drehmomentverteilung zwischen den Vorder- und den Hinterrädern, um maximale Traktion und optimale Kontrolle zu ermöglichen.
Es geht allerdings nicht nur um die Sicherheit, sondern vor allem auch um das Fahrvergnügen, das in seiner höchsten Form allerdings den Fortgeschrittenen oder den Profis vorbehalten bleibt und seine sinnreichste Anwendung wohl nur auf der Rennstrecke findet: Im "Race" -Modus geht es so richtig zur Sache, da kann man den Allradantrieb, der möglichst perfekten Grip sicherstellen soll, auch überlisten: Race-Mode einschalten, ESP ausschalten, Antrieb auf "manuell", Schaltpaddles ziehen, und der Antrieb schaltet in den "Drift"-Modus, ermöglicht also auch die Seitwärtsbewegung des Autos. Die Kraftübertragung wird von Vierradantrieb zu Hinterradantrieb geschaltet, damit man leichter über den Asphalt rutschen kann, wenn einem danach gelüstet.
Dafür gibt es zweifellos ein Publikum, wenn auch ein sehr spärlich gesätes, darum kostet diese Variante der E-Klasse auch ab 150.000 Euro, also doch einiges.
Und selbstverständlich lässt sich die schnelle E-Klasse auch völlig zivilisiert bewegen, sogar richtig gemütlich. Wer seine sportlichen Ambitionen einbremst, kann im Mercedes-AMG auch still und langsam durch die Stadt cruisen, die Kinder zur Schule bringen und seine Einkäufe erledigen. Allerdings setzt der Biturbo auch bei niedrigen Touren jedes Zupfen am Gaspedal umgehend und mühelos in heftigen Vortrieb um, da ist Disziplin gefragt. Andernfalls sind wir in 3,4 Sekunden von null auf hundert katapultiert, da schaut auch der Porsche-Fahrer blöd.
Im Innenraum lässt kaum etwas auf die exzentrische Motorisierung schließen, ein bisschen Carbon-Zier-Elemente, die sportlichen Sitze, das schnelle Lenkrad, sonst ist alles E-Klasse in gehobener Ausstattung, fast wie ein normales Auto. (Michael Völker, 23.10.2017)