Florian Boesch und Lise Lindstrom (Marie) in "Wozzeck".

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Wien – Während Meinungsforscher für ihre Prognosen laufend frische Daten verdauen, putzt am Sonntag knapp nach 19 Uhr Soldat Wozzeck im Theater an der Wien die Schuhe eines Hauptmanns (John Daszak). Die Kasernenatmosphäre, die beide umgibt, scheint sich noch verflüchtigen zu können. Ein Lichtlein – wenngleich vergeblicher – Hoffnung durchwebt ja den Duktus dieser in altehrwürdige Formen gegossenen Musikmoderne. Zudem ist der Salzburg Wozzeck noch in Erinnerung. William Kentridge hat Bergs Oper fantasievoll in einem Bilderrausch aufgehen lassen.

Regisseur Robert Carsen jedoch betont in Wien das Monochrome. Die Allgegenwart einer Militäranlage setzt sich fest, die Tarnfarbenästhetik dominiert nicht nur das Figurenäußere. Auch jener – durch zwei Säulenformationen – sich nach hinten zum Trichter verengende Bühnenraum ist in grünbraunen Flecken gehalten. Er bleibt dies dauerhaft (Ausstattung Gideon Davey).

Härte und Demütigung

In dieser klaustrophoben Atmosphäre herrschen Härte und Demütigung: Die verwahrloste Marie setzt sich eine Spritze, um ein bisschen Wirklichkeitsflucht zu genießen. Das Hinnehmen männlicher Gewalt scheint hier schreckliche "Tradition", Todessehnsucht ist ein ständiger Begleiter. Carsen widmet sich dem Beklemmenden illusionslos. Er darf sich aber auf die Intensität von Florian Boesch verlassen, der auch vom gelackten Tambourmajor (tadellos Ales Briscein) ordentlich durchgebeutelt wird.

Boesch verleiht diesem Wozzeck eine Mischung aus unterdrückter Aggression, Leid und hilfesuchender Fragilität einer in den Wahn sich hineinphilosophierenden Existenz. Durch die Ereignisse in totale Destruktion hineingetrieben, landet Wozzeck mitunter an der Rampe. Diese Annäherung an den Orchestergraben – oft eine Garantie für schauspielerischen Totalausfall – führt hier allerdings nur zur Steigerung der Unmittelbarkeit einer Figur, der Boesch auch vokal glaubwürdige Form verleiht.

Der Sadist als Arzt

Ob er sich beim sadistischen Doktor (prägnant: Stefan Cerny) Belehrungen anhören muss oder mit grimmiger Gelassenheit Marie (solide: Lise Lindstrom) die Kehle durchschneidet: Dieser Wozzeck generiert bei seinem Hürdenlauf der Demütigungen für eine direkte Inszenierung, die auch Gruppenszenen routiniert modelliert (engagiert: Schönberg Chor), die nötige Ausstrahlung.

Die Symphoniker werden von Dirigent Leo Hussain zu solider Arbeit animiert. Das Katastrophische wird gerne sehr effektvoll zur Explosion gebracht, bringt aber auch Unmittelbarkeit (Bearbeitung von Eberhard Kloke).

Ob das alles unbedingt im Theater an der Wien sein musste, bleibt trotz Boeschs Leistung fraglich. Szenisch konsequent war es: Am Ende wird ein Gewehr für Maries Kind zum Steckenpferd. Einsam geht der Kleine Richtung Ungewissheit, ein Ausbruch aus dem Teufelskreis von Demütigung und Gewalt scheint eher unwahrscheinlich. (Ljubisa Tosic, 16.10.2017)