"Warum sollst du dich nicht auch mal beim Laufen langweilen?" Man muss seinen Trainer nicht immer gern haben. Bei harten Intervallen etwa. Da hilft es, sich auszumalen, was man dem Mann, der am Streckenrand oder aus der Ferne unlösbare Tempoaufgaben formuliert, alles antun möchte – sofern man überlebt.

#Hateyourcoach funktioniert auch andersrum. Wer ernsthaft an seiner Grundlagenausdauer feilt, kommt nämlich um eines nicht herum: lange langsame Läufe. Also richtig langsam. Laaaaaangsam. Mit Pulswerten, die man sonst – gefühlt – im Tiefschlaf hat.

Vereinfacht gesagt bringt man dem Körper dadurch bei, Herzschläge zu sparen – auch wenn er sich über einen größeren Zeitraum bewegt. Je tiefer der Puls in der Grundlage, umso mehr Bandbreite steht einem, wenn man sich dann anstrengt, zur Verfügung. Aber egal ob vereinfacht-volkstümlich oder komplex-kompetent: Das muss man üben – mit langen langsamen Läufen. Diszipliniert und konzentriert. Das kann fad sein. Sehr fad. Also grinste mich Harald Fritz an: "Wieso sollst du dich nicht auch mal beim Laufen langweilen?" Zwei Stunden. Maximalpuls: 133. Danke, ganz lieb: 133 hab ich beim Zähneputzen.

Foto: Thomas Rottenberg

Nur: Ganz so leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Denn Sinn und Hintergrund des Planes kapiere ich. Aber: Muss Laufen im (subjektiven) Schleichmodus echt langweilig sein? Eine Übung in mentaler Selbstzerfleischung? Ein Kniefall vor dem Ennui? Natürlich: Wer ausschließlich in Pace & Platzierung denkt, der wird im langsamen Dauerlauf wohl eine Übung in Disziplin sehen. Oder nach "schwächeren" Läufern suchen: Dass die oft nicht verstehen – oder es irritierend finden –, wieso einer (oder eine), die sonst so viel schneller (fälschlich als "besser" wahrgenommen) ist, beständig im Windschatten oder neben ihnen pickt, wäre eine eigene Geschichte.

Foto: Thomas Rottenberg

Wer sich wie ich aber als Genussläufer versteht, der kann auch aus so einer Aufgabe etwas herausholen: den Spazierlauf mit Alternativübungen kombinieren. Sich dem Zauber des Herbstes ergeben. Sich für die "Mühen der Ebene" – bei mir die Phase zwischen der 50. und der 80. Minute – einen Volkslauf ohne amtlich gesperrte Strecke suchen (etwa den LCC-Marathon im Prater). Oder neues Material testen.

Foto: Thomas Rottenberg

Das kam wie gerufen: Vor ein paar Wochen kündigte mir der Pressemann von Salomon Österreich ein Paket an. Ein neuer Schuh. Für die Straße. Ich war skeptisch: Salomon wurde 1947 in den französischen Alpen gegründet. Die Liebe und Begeisterung für jede Form von Bewegung im Gelände ist das, wofür die Marke steht. Nicht nur, aber auch und gerade beim Laufen: Salomon ist am Trail eine Weltmacht. Dort, wo die Franzosen seit Jahrzehnten sind, wollen andere heute mit Millioneninvestitionen hinkommen.

Der Haken: Der große Laufmarkt ist – immer noch – auf der Straße. Wer dort Hobbyläuferinnen und -läufer abholen will, die mit dem hippen "Trail" liebäugeln, muss dorthin, wo die Kundschaft ist. Also als Marke schon Vertrauen und Bekanntheit dort genießen, wo die umworbene Klientel daheim ist.

Foto: Thomas Rottenberg

Da spießt es sich dann: Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Straßenlaufschuhe von Salomon ausprobiert. Keiner hat mich überzeugt. Nicht dass sie schlecht oder "unlaufbar" gewesen wären – mitnichten. Aber jene schlafwandlerische Sicherheit, mit der die Franzosen im Gelände fast alles richtig machen, fehlt der Road-Performance des Labels. Und "eh ganz okay" ist zu wenig, wenn die Mitbewerber ein "sehr gut" bekommen.

Der Grund? Klar – aber irrelevant: Ein Unternehmen, das den Berg in der Doppelhelix hat, kriegt die Alpen auch nicht aus Kopf und Denken, wenn es ins Tal steigt. "They suffered somewhat from trail oriented and styled uppers and plentiful trail DNA rubber coverage which made them a bit slappy, but super durable", umreißt etwa die Gear-Plattform "Roadtrial Run" das Dilemma der früheren Schuhe.

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich wissen das auch die Schuhmacher selbst. Also holten sie Hilfe von auswärts. Unter anderem von Simon Bartold. Bartold ist einer der gefragtesten und renommiertesten Lauf-Podologen der Welt. Was er über Füße, Beinmechanik und -Motorik und Bewegungsabläufe erzählt, ist nicht immer unumstritten – ist aber in jedem Fall durchdacht und kompetent. Hat Hand und Fuß.

Bloß: Wer in den letzten Jahren "Bartold" sagte, sagte meist noch im gleichen Atemzug auch Asics. Dort war Bartold jahrelang einer der wichtigsten Berater und Konsulenten der Forschungsabteilung.

Nun aber taucht sein Name auch bei Salomon auf. Schon das deutet darauf hin, dass die "Road Avenue"-Serie der Franzosen den Schritt vom Gelände auf die Straße erfolgreicher und durchdachter machen könnte als die Vorgängermodelle.

Simon Bartold

Der Salomon Sonic RA kommt in Europa aber erst im Frühjahr 2018 in den Handel. Und ganz fertig – schreiben die PR-Leute – sind die derzeit in Umlauf geschickten Modelle nicht. Dazu aber später mehr. Der Schuh wird in drei Varianten auf den Markt kommen: als Allround-Trainingsschuh (den habe ich getestet), als Sonic RA Max mit mehr Stütze und Führung sowie als Sonic RA Pro, ein leichter Wettkampfschuh.

Was alle drei gemein haben, ist der schon optisch deutlich andere Aufbau als bei "alten" Sonic-Schuhen: Das Obermaterial ist leichter und dünner. Der Schuh sitzt dank des gewobenen "Sensi Fit"-Aufbaus wie ein Handschuh, engt aber nicht ein – und soll druckstellenfreies Schnüren auch im Mittelfußbereich erlauben.

Foto: Thomas Rottenberg

Richtig "anders" zeigt sich der Sonic RA dann aber von der Unterseite: Die Sohle prägt eine durchlaufende Längsrille. Die heißt "Geometric Decoupling" und ist kein optisches Gimmick, sondern soll den Schuh quasi der Länge nach "spalten" – und Dämpfung, Aufprall- und Abstoßenergie der Sohle über die durch den "Graben" unterschiedlich großen Sohlenplatten steuern: Je nach gewähltem Modell (Pro, Standard, Max) verläuft die Rille im Vorfußbereich ein wenig anders. Das soll das Abrollverhalten und die Reaktivität beeinflussen: Der "Pro" verlagert den Schwerpunkt mehr nach mittig-vorne, Vorfußläufern soll das beim Abdruck mehr "Bumms" im Zehenbereich geben. Der "Max" legt den Schwerpunkt weiter hinten an. Das gibt Stabilität, stützt den Fuß und gleicht angeblich auch bei Pronierern in beide Richtungen (also sowohl nach innen wie nach außen) die Knickbewegung aus.

Foto: Thomas Rottenberg

Auffällig schon beim Anziehen ist auch das Innenleben im Fersenbereich: Schon beim ersten Angreifen fühlt sich der Hinterfußbereich seltsam an. Nicht unbedingt vertrauenerweckend: Kein durchgehendes Futter findet sich hier, sondern nur kleine, fast punktuell wirkende Pölsterchen. Vermutlich ist genau das der Teil, den der Salomon-PR-Mann im Begleitmail mit "die Ferse ist noch nicht final und bekommt noch ein paar kleine Änderungen in Bezug auf die Passform" beschrieben hatte. Eine Wulst an Ferse und Achillessehne – ob das gutgeht?

Gleich vorweg: Ja, das geht gut. Sogar sehr gut: Der Halt, den mir der Sonic RA im Fersenbereich gab, war perfekt. Durchgängig – bis zur letzten Minute: Eigentlich hätte ich erwartet, irgendwann ein Reiben oder Scheuern zu spüren. Oder zumindest Druckstellen. Aber: Nada. Freilich: Wie das bei Fersenläufern dann auf Dauer aussieht, steht auf einem anderen Blatt.

Foto: Thomas Rottenberg

Tatsächlich lief sich der Sonic RA überraschend gut. Auch – und gerade – weil ich weiß, dass man einen komplett neuen Schuh sonst eher nicht gleich auf einen längeren Lauf ausführen sollte. Schon gar nicht, wenn man wirklich gar nix über Konzept, Philosophie und Passform des Schlapfens weiß.

Doch der Salomon war von Anfang an solide und zuverlässig: Anfangs war mir der Auftritt fast eine Spur zu hart. Geradezu unvermittelt. Aber das könnte – und dürfte – auch daran liegen, dass ich in letzter Zeit meist reduzierte, aber doch verhältnismäßig weiche Schuhe gelaufen bin: Der Sonic RA erinnert mich ein wenig an meinen früheren Lieblings-Allroundschuh, den Racer ST von Brooks und einige Asics-Modelle. Angesichts der Berater-Historie vielleicht gar kein Zufall.

Sobald ich mich an die direkte Art, den Boden anzunehmen, gewöhnt hatte, wurde das Laufen rasch leicht – und blieb es: ruhig, stabil, direkt und irritationsfrei – ich musste nicht einmal die Schuhbänder nachjustieren: ganz so, als hätte ich diesen Schuh hunderte Kilometer eingelaufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich mit einer Ausnahme: Nach 90 Minuten begann ich meine Großzehballenaußenkante zu spüren. Nur: Das dürfte wohl mehr der ausgeprägten Fehlstellung meiner Zehen als dem Schuh geschuldet sein – den Schuh, mit dem sich mein Hallux Valgus nicht erst anfreunden muss, kenne ich noch nicht. Denn auch bei langsamem Tempo müssen Fuß und Schuh erst einmal zueinanderfinden – genau deshalb soll man Laufschuhe zuerst auf kürzeren Distanzen einlaufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Mein Fazit? Ich war überrascht. Ich hatte, eben aufgrund meiner Erfahrungen mit Salomons Vorgängern der "Running Avenue"-Reihe, Vorbehalte gehabt.

Ich hatte den Testlauf ausgesprochen langsam, gleichmäßig und ruhig angelegt: bis auf ein paar Schotter- und Wiesenstücke nur auf Asphalt. Der Fokus auf den Puls ließ schnelle Antritte, Sprints oder Steigerungsläufe nicht zu.

Aber ein erstes Bild war nach diesen zwei Stunden drin: Dieser Schuh hat – so er zum Fuß des Läufers oder Läuferin passt – tatsächlich das Zeug dazu, mehr als nur das "Wir wollen auch mitspielen"-Rufzeichen eines Bergspezialisten zu sein. Bei mir bleibt der Sonic RA deshalb auf der Shortlist – vielleicht nicht für die schnellen und ganz harten, aber bestimmt für die schönen Läufe. Und für die, von denen mein Trainer glaubt, dass sie langweilig sind – obwohl sie es dann doch nie sind. (Mehr Fotos vom "faden Lauf" gibt es hier.)

Noch ein paar Zahlen: der Salomon Sonic RA wiegt 280 Gramm (UK-Größe 9,5) und hat eine Sprengung von 8 mm. Er soll ab dem Spätwinter 2018 verfügbar sein – und wird etwa 110 € kosten. (Thomas Rottenberg, 18.10.2017)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Der Schuh wurde vom Hersteller zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

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Oops, she did it again: Der Kölner (Halb-)Marathon

Von der Vermessung des Laufens: Der Garmin Dynamics Pod

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