Wien – Die FPÖ hat am Dienstag ihre Parteigremien zusammengerufen, um das Wahlergebnis vom Sonntag zu beraten. Oberösterreichs Landesobmann Manfred Haimbuchner erklärt im STANDARD-Interview, warum seine Partei aus seiner Sicht lange genug in Opposition war und warum er die FPÖ besser als bei den letzten Regierungsbeteiligungen in den Jahren 2000 und 2002 vorbereitet sieht.

Will die FPÖ nicht länger in Opposition sehen: Oberösterreichs Landeschef Manfred Haimbuchner.
apa

STANDARD: Ist es für die FPÖ wieder Zeit, erstmals seit 2002 in eine Regierung zu gehen?

Haimbuchner: Ich glaube schon, dass es Zeit für uns ist, Verantwortung zu übernehmen. Ich bin ein klarer Befürworter des Regierens. Es muss Ziel jeder politischen Kraft sein, mitzugestalten, sonst würde sie sich ad absurdum führen. Dieses Mal haben uns auch viele gewählt, weil sie davon ausgehen, dass wir regieren wollen. Da hat sich einiges gedreht.

STANDARD: Es gibt aber noch immer FPÖler, die meinen, in der Regierung kann die FPÖ nur verlieren, weil man logischerweise nicht hundert Prozent des Programms umsetzen kann.

Haimbuchner: Selbstverständlich müssen wir auf die Sorgen dieser Funktionäre Rücksicht nehmen, aber wir müssen auch raus aus der Komfortzone. Es stimmt schon: Hundert Prozent kann man nie durchbringen, in der Opposition bringt man allerdings gar nichts durch. Wir müssen also versuchen, diese Bedenken mit einem guten Programm und guten Leuten auszuräumen. In Oberösterreich ist uns das gelungen. Hier regieren wir seit 2015 mit. Davon profitiert nicht nur das Land, sondern auch die Freiheitlichen im Land.

STANDARD: Gibt es Präferenzen für eine Koalition mit der ÖVP oder der SPÖ?

Haimbuchner: In Oberösterreich gibt es starke Befürworter einer schwarz-blauen Koalition. Das habe ich auch ganz offen in den Gremien gesagt. Natürlich gibt es in der Partei auch Persönlichkeiten, die sich eine Öffnung der SPÖ gegenüber uns wünschen. Ich muss aber ehrlich sagen: Wenn ich mir die Programme anschaue, dann tue ich mir mit der SPÖ mittlerweile schwer.

STANDARD: Letztlich kommt es auch immer auf das persönliche Vertrauen an. Ist das gegenüber Christian Kern und Sebastian Kurz gegeben?

Haimbuchner: Schwierige Frage. Bundeskanzler Kern kenne ich persönlich nicht, Kurz habe ich kennengelernt. Der Außenminister hat einen großartigen Wahlerfolg eingefahren. Ich glaube schon, dass er es ernst meint – bei seinem Umfeld, den Mitverhandlern, bin ich mir da aber nicht so sicher. Man muss schon sagen: Die FPÖ ist in den vergangenen Jahren oft von der ÖVP enttäuscht worden. Ich erinnere an die Bestellung der Rechnungshofpräsidentin oder die Bundespräsidentenwahl. Das sitzt noch tief bei vielen Freiheitlichen. Vertrauen ist nichts, was von einem Tag auf den anderen entsteht.

"Die FPÖ ist unter H.-C. Strache anders aufgestellt. Er ist eine ganz andere Persönlichkeit, als es Jörg Haider war", findet Haimbuchner.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

STANDARD: Viele Blaue machen auch noch immer Wolfgang Schüssel für das Debakel 2002 verantwortlich.

Haimbuchner: Unterschwellig wirkt das bei manchen sicher noch immer nach. Manche glauben, die ÖVP wollte uns damals das politische Existenzrecht absprechen, das Licht ausblasen.

STANDARD: Mit Verlaub: Das Chaos damals war aber schon großteils selbstverschuldet. Die Partei war massiv zerstritten.

Haimbuchner: Da gebe ich Ihnen recht. Es war Unvermögen der FPÖ selbst, und man hat versucht, vieles davon auf andere politische Parteien zu projizieren. Es gab katastrophale Personalentscheidungen Jörg Haiders, und leider ist er im Schmollwinkel in Kärnten gesessen. Wir müssen aber aus der Vergangenheit lernen. Eine Partei kann nicht immer nur Vergangenheitsbewältigung betreiben. Das interessiert die Wähler nicht.

STANDARD: Mit der SPÖ gäbe es symbolisch schwierige Punkte wie die Erbschaftssteuer oder die Mindestsicherung. Sehen Sie bei der ÖVP inhaltliche Hürden?

Haimbuchner: Schwierig ist das ganze Thema Kammerzwang und Sozialpartnerschaft. Da bin ich gespannt, ob die ÖVP zu Reformen bereit ist, auch was das Beitragssystem betrifft. Ähnliches gilt für Strukturreformen beim gesamten Beamtenapparat.

STANDARD: Und das Europathema? Reicht es der FPÖ, wenn nun auch Kurz Sozialleistungen für EU-Bürger und die Familienbeihilfe kürzen will?

Haimbuchner: Ehrlich gesagt: Die erwähnten Punkte sind nur Mini-Europathemen. Europa ist viel mehr als nur Ausländerpolitik und die Frage, wer welche Sozialleistungen bekommt. Mittlerweile haben wir auch schon genug von der Schließung der Westbalkan- und Mittelmeerroute gehört. Es mag Sie verwundern, das von einem Freiheitlichen zu hören. Wir müssen Europa insgesamt neu denken. Die Frage ist: Wollen wir ein subsidiäres Europa, eines, das für seine Werte einsteht? Oder wollen wir ein Europa, das nicht den Mund aufmacht, wenn in Katalonien Bürger, die abstimmen wollen, physisch von der Staatsgewalt angegriffen werden?

STANDARD: Was ist, wenn der Bundespräsident wie im Jahr 2000 eine schriftliche Erklärung fordert, dass die FPÖ proeuropäisch ist. Ein Problem?

Haimbuchner: Die FPÖ ist eine proeuropäische und keine antieuropäische oder gar EU-Austrittspartei. Es muss aber in einer Demokratie möglich sein, Kritik an europäischen Institutionen oder undemokratischen Vorgängen zu üben. Wenn der Herr Bundespräsident will, dann bestätigen wir ihm aber auch gerne, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist.

STANDARD: So manche ÖVPler sorgen sich wegen des engen Kontakts der FPÖ zu Leuten wie Marine Le Pen im EU-Parlament oder zur deutschen AfD. Ist es denkbar, hier stärker auf Distanz zu gehen?

Haimbuchner: Wir werden sicher keinen Distanzierungswettbewerb veranstalten. Der Zusammenschluss im EU-Parlament ist notwendig, damit man die Rechte einer Fraktion nutzen kann. Das heißt aber nicht, dass wir jede politische Position von jedem Fraktionsmitglied teilen. Ich würde es ohnehin begrüßen, wenn sich alle bürgerlich-konservativen Kräfte zusammentun. Das wollten aber die Konservativen nie. Ich halt es überhaupt für eine Chuzpe, wenn an uns Kritik geübt wird, aber Angela Merkel kein Problem hat, mit Viktor Orbán in einer Fraktion zu sein.

Die Forderung Straches nach dem Innenressort unterstützt Haimbuchner, findet aber, dass die Justiz mindestens genauso wichtig sei.
apa

STANDARD: Sebastian Kurz verlangt in einem aktuellen Interview mit der israelischen Tageszeitung "Israel Hayom" ein klares Engagement gegen Antisemitismus vom künftigen Koalitionspartner. Gibt es das?

Haimbuchner: Die FPÖ unter H.-C. Strache hat hier einen klaren Standpunkt und eine konsequente Linie verfolgt. Sie hat den Dialog gesucht und pflegt ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Israel. Und nicht nur, dass sie im Anlassfall innerparteilich konsequent gegen den historischen Antisemitismus vorgegangen ist, so stellt sie sich heute auch vor die jüdischen Mitbürger, wenn unsere Gesellschaft mit dem modernen Antisemitismus konfrontiert ist. Also ein eindeutiges Ja, es gibt ein klares Engagement gegen den Antisemitismus.

STANDARD: Ihr Parteichef Strache sagt, das Innenministerium ist für die FPÖ ein Muss. Was ist für die FPÖ noch unabdingbar?

Haimbuchner: Ich möchte keine Forderungen ausrichten, aber da hat Strache natürlich recht. Ich bin auch der Meinung, die FPÖ sollte das Justizressort anstreben, denn es stört mich, dass der Justizminister zuletzt immer nur als Notar des Innenministers aufgetreten ist. Wir reden viel über Menschenrechte, aber wenn es um Bürgerrechte und Datenschutz geht, verliert man wenige Worte. Das müsste viel stärker im Fokus stehen.

STANDARD: Von einem parteiunabhängigen Justizminster halten Sie nichts?

Haimbuchner: Wer ist schon unabhängig? Sie können in Österreich auch Verfassungsrichter politisch zuordnen, und das meine ich gar nicht als Vorwurf. Ich glaube nicht, dass die Urteile deshalb schlechter sind.

STANDARD: Die SPÖ hat am Montag beschlossen, sie wolle sich auch Gesprächen mit der FPÖ nicht verschließen. Eine Entwicklung, die Sie begrüßen?

Haimbuchner: Selbstverständlich, es gibt keine bessere Übung in der Demokratie als Gespräche. Aber klar ist auch: Ernsthafte Verhandlungen kann es nur geben, wenn die SPÖ ihren Parteitagsbeschluss aufhebt, nicht mit uns zu koalieren. Ein bissl schwanger geht nicht.

STANDARD: Sebastian Kurz hat sich für klare Zuständigkeiten in der Regierung ausgesprochen. Es soll also nicht für jeden Minister einen Spiegelminister der anderen Seite geben. Kann das funktionieren?

Haimbuchner: Klare Zuständigkeiten sind absolut notwendig. Aber letztlich muss man immer eine Mehrheit im Parlament finden, man muss also vorher ordentlich verhandeln, alle Verantwortungsträger und die Klubs einbinden, dann brauche ich dieses Spiegelministersystem nicht.

STANDARD: Warum sollte die FPÖ heute besser regieren können als im Jahr 2000, als überforderte Leute Minister wurden?

Haimbuchner: Das wird nicht mehr passieren. Die FPÖ ist unter H.-C. Strache anders aufgestellt. Er ist eine ganz andere Persönlichkeit, als es Jörg Haider war. Es war auch ein eklatanter Fehler, dass Haider damals nicht selbst in die Regierung gegangen ist und Parteispitze und Vizekanzler getrennt waren. Diese Fehler werden wir nicht mehr machen, wir werden gute und solide Personalentscheidungen treffen.

STANDARD: Würden Sie selbst als Minister zur Verfügung stehen?

Haimbuchner: Nein, ich bin den Oberösterreichern im Wort. Und es war 2000 und 2002 ein Fehler, so viele Leute von den Landesorganisationen abzuziehen. Da ist dann ein Vakuum in den Ländern entstanden. (Günther Oswald, 17.10.2017)