Um Österreich mit seinen Widersprüchen darzustellen, könnte das Timing für den Prüfbeschluss des Verfassungsgerichtshofes nicht besser gewählt sein. Zwei Tage nach der Nationalratswahl, bei der mit der ÖVP und der FPÖ zwei Parteien, die volle Homosexuellenrechte ablehnen, massiv gestärkt wurden, verkündet das höchste Gericht der Republik, dass es Bedenken gegen den Ehe-Ausschluss lesbischer und schwuler Paare hat.

Damit sprechen die Verfassungsrichter aus, was laut Umfragen in Österreich inzwischen mehrheitsfähig ist. In der Bevölkerung wird die Ehe für alle von den meisten akzeptiert. Doch die Chance, dass die Eheöffnung, wie zuletzt etwa in Deutschland, auf parlamentarischem Wege stattfinden könnte, ist in Österreich derzeit gleich Null: ÖVP-Chef Sebastian Kurz lehnt die Ehe für alle ab, die FPÖ ist überhaupt gegen jedes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Beziehungen.

Schon bisher konnten Verbesserungen für Homosexuelle in Österreich nur auf höchstgerichtlichem Weg erkämpft werden – oder aber eine EU-Richtlinie erzwang sie. Wie ein roter Faden zieht sich das durch die vergangenen 15 Jahre, vom Kippen des Schwulenmindestalters, das sexuelle Beziehungen mit unter 18-Jährigen mit Gefängnis bedrohte, hin zu den vielen Verfassungsgerichtshofentscheiden, mit denen kleinliche Benachteiligungen schwuler und lesbischer Paare bei der eingetragenen Partnerschaft behoben wurden: Man erinnere sich etwa an das Standesamts- oder das Familiennamensverbot.

Nun spielen die Verfassungsrichter bei der ideologisch aufgeladenen Eheöffnungsfrage eine zentrale Rolle. Sollten sie pro Ehe für alle entscheiden, wird das gegen den Willen jener Kräfte sein, die in Österreich für den Rechtsruck stehen. Das zeigt, wie wichtig ein unabhängiges Höchstgericht ist – in Zeiten wie diesen. (Irene Brickner, 17.10.2017)