Im Ennedi-Gebirge im Tschad hielt Wüstenfotograf Michael Martin Felsformationen fest, wie sie sonst nur selten in der Sahara zu finden sind.

Foto: Michael Martin

Von Michael Martin (54) erschien zuletzt der Bildband "Planet Wüste" im Verlag Knesebeck.

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Für sein Projekt "Planet Wüste" reiste Michael Martin sechs Jahre lang in die extremsten Eis- und Trockenwüsten der Erde.

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Auf dem Colorado-Plateau mit dem San Juan River erkennt er ähnliche grafische Strukturen wie in der Eiswüste Islands oder in der Rub al-Chali auf der Arabischen Halbinsel.

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Es ist stets die Reduziertheit der Formen im Eis oder Sand, die ihn fasziniert.

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Nur rund ein Fünftel der Trockenwüsten ist eine reine Sandwüste wie die Rimal Al Wahiba im Oman.

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Und von oben ist oft nicht einmal ersichtlich, ob es sich um Sand oder Eis handelt. Eine Luftaufnahme von der Namib kan da schon mal einer Eiswüste wie jener in Grönland zum Verwechseln ähnlich sehen.

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Es ist auch weniger das Trennende als das Verbindende der geometrischen Strukturen eines Eisbergs am Nordpol oder in der Antarktis und der Dünen in der Sahara oder der Gobi, das den Fotografen Michael Martin seit 35 Jahren beeindruckt.

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STANDARD: Sie waren bisher gut 300-mal in Eis- und Trockenwüsten. Wohin ging es zuletzt?

Michael Martin: In die Eiswüste der Ostantarktis. Von dort bin ich, so schnell es ging, mit dem Schiff nach Südamerika gefahren und gleich weiter nach Spitzbergen geflogen. Hab's gerade noch für ein paar Aufnahmen zur totalen Sonnenfinsternis geschafft. Die war am 20. März 2015. An diesem Tag habe ich mein bisher letztes Bild geschossen.

STANDARD: Kein einziges Bild mehr danach? Warum das denn?

Martin: Das mache ich immer so: fotografieren – präsentieren. Ich habe in den vergangenen 35 Jahren gut 2000 Vorträge gehalten zu den Bildern, damit verdiene ich mein Geld. Und wenn ich vortrage, fotografiere ich nicht.

STANDARD: Warum ist die Wüste seit Jahren Ihr einziges Motiv?

Martin: Das hat ästhetische Gründe. Ich bin kein barocker Typ, sondern skandinavisch-reduziert. Mein Vater findet Mies van der Rohe gut, ich auch. Diese Formensprache in der Architektur findet sich bei Landschaften nur in der Wüste.

STANDARD: Ihre ersten Fotos zeigen dennoch Sterne.

Martin: Ich habe als Zwölf- oder 13-Jähriger zu fotografieren begonnen. Sterne vor allem deshalb, weil mich meine Eltern für diese Fotos nachts allein weggehen ließen.

STANDARD: Sie haben bestimmt behauptet, Sie würden Sterne fotografieren, und sind in die Disco gegangen.

Martin: Nein, ich bin tatsächlich zum Fotografieren raus. Ich war ein mittelprächtiger Schüler, mit der Astronomie habe ich endlich etwas gefunden, dass mich faszinierte. Damals hatte ich auch diesen Freund, den Achim. Der radelte mit mir zum Sterneschauen in die Tiroler Alpen und schlug danach eine gemeinsame Radtour von Bayern bis in die Sahara vor. Wir waren fasziniert von der Idee, aus eigener Kraft bis in die Wüste zu kommen. Später wurde daraus eine Mofa-Tour nach Marokko, weil mein Knie nicht mitmachte.

STANDARD: Sie betonen, dass Sie es unbedingt aus eigener Kraft schaffen wollten. Warum war Ihnen das so wichtig?

Martin: Sich die Welt selbst zu erarbeiten hatte einmal eine ganz eigene Qualität: Man konnte noch etwas Neues erzählen. Mittlerweile kann jeder in Blogs nachlesen, wie die Menschen in Burma leben oder was sie gern in Bolivien essen, ohne je dort gewesen zu sein. Mein Vater erzählt dennoch bis heute die Geschichte, wie er mit dem Rad von Bayern nach Rom gefahren ist und was er dabei alles erlebt hat.

STANDARD: Sie haben den Hang zum Abenteuer von Ihrem Vater?

Martin: Nein, denn mein Vater stand bei meinen Abenteuern nur auf der Bremse, war stets um mich besorgt, sagte immer: "Du kriegst ganz sicher kein Mofa!"

STANDARD: Wie sind Sie trotzdem zu einem gekommen?

Martin: Als ich 17 Jahre alt war, wollte sich mein Vater das Leben nehmen und hat danach ein Jahr gebraucht, um ins Leben zurückzufinden. Es klingt vielleicht herzlos, aber für mich war das die einzige Chance, diesem autoritären, besorgten Vater zu entfliehen. Ich habe mir also selbst das Mofa organisiert und bin damit in die Sahara gefahren.

STANDARD: Sie erzählen das sehr gelassen. Sind Sie es auch?

Martin: Ich bin ungeduldig und stehe ständig unter Strom, mein Leben ist verworren. Ich bin nur unterwegs, fast öfter auf der Autobahn als in der Wüste, fahre von einem Vortrag zum nächsten – und ich habe zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen. Die Wüste schenkt mir den nötigen Ausgleich. Diese Klarheit und Reduziertheit finde ich sonst nirgends.

STANDARD: Macht Sie die Wüste zum Einzelgänger?

Martin: Überhaupt nicht. Ich bin zum ersten Mal verheiratet und fahre am liebsten mit meiner Frau oder mit Freunden in die Wüste. Aber mehr als vier Leute sollten es nicht sein, ich muss das ja aus eigener Tasche bezahlen. Es sollte auch allen klar sein, dass wir der Bilder und Geschichten wegen reisen – und ich dabei das Sagen habe.

STANDARD: Das klingt nicht mehr nach Ihrem jugendlichen, idyllischen Bild von der Wüste.

Martin: Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen, habe nie Karl May gelesen und hatte als Kind gar kein Bild von der Wüste. Also bin ich als Erstes an deren Rand, dann mitten rein und quer durch – mit 25 Jahren habe ich 40 Sahara-Reisen gemacht.

STANDARD: Sie reisten zunächst ausschließlich in die Sahara?

Martin: Bis 1991 nur dorthin, dann kam der Bruch: In Algerien begann der Bürgerkrieg, in Niger und Mali die Tuareg-Rebellion. Von einem Tag auf den anderen hat man mir mein ureigenes Operationsgebiet weggenommen! Also bin ich erst einmal nach Ostafrika ausgewichen, habe aber gemerkt: Die Tropen sind nicht meins. Danach klapperte ich alle anderen Wüsten Afrikas ab. Von dort war es nur mehr ein kleiner Schritt zum Rest der Trocken- und Eiswüsten dieser Erde.

STANDARD: Wo fühlen Sie sich wohler: im Eis oder im Sand?

Martin: Mir sind Trockenwüsten lieber. Aber Eiswüsten haben einen beruflichen Vorteil für mich als Vortragender: Wenige waren dort, sie haben eine geniale Ästhetik und keinen Terrorismus. Sibirien, Antarktis, Alaska – alles total sicher. Der Nachteil: Ich reise lieber in Turnschuhen und in Jeans.

STANDARD: Sehen Sie Gemeinsamkeiten im Eis und Sand?

Martin: Die Menschen. Alle Menschen, die in extremer, harscher Natur leben, besitzen einen stärkeren Charakter. Sie haben mehr Persönlichkeit als verweichlichte Städter.

STANDARD: Nachfrage eines verweichlichten Städters: Was verbindet die Inuit in Grönland mit Nomaden in Mali?

Martin: Es gibt schon Unterschiede: Die Bewohner der Arktis sind eher geprägt durch unser westliches Leben als Menschen in Trockenwüsten. Letztere liegen meist in armen Ländern. Ich war 2014 wieder mal im Tschad, und dort es sah noch genauso aus wie vor 30 Jahren. Armut konserviert ...

STANDARD: Das klingt nicht nach einem rein ästhetischen Interesse. Warum porträtieren Sie dennoch selten Menschen?

Martin: Ich habe früher öfter Porträts geschossen, jetzt liegt der Fokus auf Landschaften. Doch der Mensch in seiner natürlichen Umgebung war immer mein Thema: Wie verändert der Mensch die Wüste – Desertifikation, Uran-Abbau, Solartechnik -, und wie verändert die Wüste den Menschen? Letzteres betrifft Fragen wie: Warum kommen alle monotheistischen Religionen aus der Wüste?

STANDARD: Also: Warum kommt der Monotheismus aus der Wüste?

Martin: Die Wüste wirft den Menschen auf sich selbst zurück, es tauchen schnell spirituelle Gedanken auf. Und die Erklärung für den Monotheismus: Im Urwald kann man in jedem Baum Geister sehen, in der Kargheit der Wüste sind Sie fokussierter, weniger abgelenkt. Da reicht ein höheres Wesen.

STANDARD: Apropos fokussiert: Verschwimmen Ihre Eindrücke nicht nach 35 Jahren Wüstenerfahrung?

Martin: Eindrücke wiederholen sich. Beispielsweise flaut in der Wüste jeden Abend der Wind ab, Kameldung riecht auch immer gleich. Was hängenbleibt, sind Gerüche.

STANDARD: Wie riecht die Sahara?

Martin: Ich kann genau beschreiben, wie eine Kneipe in Mali riecht oder in Äthiopien frisch gemahlener Kaffee, aber die Sahara ...

STANDARD: ... riecht auch nur nach Zivilisation?

Martin: Wahrscheinlich stimmt das, und doch ist sie ein extrem sinnlicher Ort. Sie sind durch nichts abgelenkt, hören das Rauschen des Blutes in den Adern und das Knistern des Feuers. Ich bin wirklich kein esoterischer Mensch, aber wer nicht komplett unsensibel ist, nimmt die Natur in der Wüste einfach stärker wahr.

STANDARD: Wie einsam ist man in der Wüste wirklich?

Martin: Wir haben völlig falsche Vorstellungen davon. Wasser ist dort viel präsenter, als wir glauben – vor allem aber Benzin. Natürlich können Sie keine Tankstelle in der Sahara googeln, aber es gibt immer wieder Brunnen oder Menschen, die im Lager Benzin verkaufen. Sie müssen halt wissen, wo. Die Trockenwüste ist jedenfalls nicht so lebensfeindlich, wie man allgemein glaubt.

STANDARD: Ist Ihnen nie etwas Schlimmes passiert?

Martin: In der Antarktis, wo ich gar keine Erfahrung hatte, habe ich immer wieder auf Guides gesetzt. Die haben mir gezeigt, wie man ein Zelt bei Fallwinden bis zu 300 Kilometer pro Stunde richtig im Boden verankert. Und warum man besser eine Schneemauer davor baut. Die Arktis hat ohnehin viel Infrastruktur, bei den Inuit gibt es überall Landepisten. Nur die Kälte in Kombination mit Wind ist lebensgefährlich. Aber im Eis gilt wie im Sand: So gefährlich ist es nicht, wenn man ein wenig mitdenkt und auf die Einheimischen hört.

STANDARD: Sie verkaufen Ihre Reisen aber immer als die letzten großen Abenteuer. Tun Sie das, damit mehr Leute in die Vorträge kommen?

Martin: Ein Abenteuer ist für mich eine Unternehmung, bei der der Ausgang nicht hundertprozentig klar ist. Abenteuer sind nie Selbstzweck, sondern immer nur Begleiterscheinung. Das sage ich auch so bei den Vorträgen.

STANDARD: Sie waren für Ihr Projekt "Planet Wüste" über 800 Tage ins sechs Jahren unterwegs. Ist das nicht ein Beziehungsabenteuer?

Martin: Meine Frau habe ich zur Halbzeit des Projekts kennengelernt, acht Reisen hat sie noch mitgemacht. Wir sind verheiratet, aber wohnten getrennt, also beginnt das größte Abenteuer erst jetzt – wir ziehen zusammen. (Sascha Aumüller, RONDO, 20.10.2017)