"Falter"-Chefredakteur Florian Klenk: "Gehen Sie hinaus! Zuerst zu den Unterprivilegierten und dann erst in die Vorzimmer der Macht."

Foto: Stefan Joham

Wien – Am Dienstag feierten Studierende der Fachhochschule für Journalismus und Medienmanagement ihre Sponsion. Die Festrede hielt "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk. "Die Gesellschaft zerfällt on the long run, sie wird – siehe Trump – leichter manipuliert. Es gibt kein tägliches Lagerfeuer, vor dem Journalisten wie Hugo Portisch für alle verständlich die Lage erklären. Das muss man nicht tränenreich beklagen, so sind die Zeitläufte, aber man muss es wissen", sagt Klenk. Dass Journalisten eingesperrt werden, sei nichts Neues. Klenk: "Was mich so nervös macht: Den meisten Bürgerinnen und Bürgern ist das offensichtlich völlig egal."

Journalismus sei eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. "Ohne Journalismus ist die Gesellschaft nicht imstande, sachlich fundierte Meinungen über die Res Publica zu bilden", so Klenk. Und wer sich keine Meinung bilden kann, der könne auch nicht wählen. "Der Journalismus ist, wenn Sie so wollen, der Bruder der Demokratie."

Die Rede im Wortlaut

Liebe Studierende,

Was für eine Freude hier in Ihre Gesichter zu blicken. In diese stolzen Gesichter. Ich bin zwar kein besonders konservativer Mensch, aber ich mag solche Abschlussrituale bei denen man sich hübsch anzieht, die Eltern mitnimmt, einander Blumen schenkt. Sie würdigen eine Anstrengung, die man sich selbst auferlegt hat.

Sie sind nun keine Studierenden mehr. Sie sind hoffentlich bald Journalistinnen und Journalisten, die der Gesellschaft etwas über die Gesellschaft erzählen, wie es der berühmte Journalist Claus Gatterer einmal formulierte. Darum soll es heute geben. Über den Journalismus als gesellschaftserhaltende und gesellschaftsstiftende Institution in einer Welt, in der die Gesellschaft auseinanderfliegt.

Sie haben das Handwerk des Journalismus gelernt, ein Handwerk, das in Österreich eigentlich erst seit knapp zehn Jahren professionell gelehrt wird. Jahrzehntelang wurde der Journalismus in Österreich "on the job" vermittelt von den älteren Kollegen. Viele schmorten im eigenen Saft.

Das hat sich geändert. Sie lernen nicht nur ihr Handwerk, sie lernten auch verschiedene Journalistinnen und Journalisten kennen und unterschiedliche Redaktionen. Sie haben erlebt, dass wir keine wertneutralen Wesen sind, sondern Menschen mit Überzeugungen und Positionen. Es gibt unter uns Linke und Rechte. Kritische und Affirmative. Mutige und Feige.

Journalismus ist das Gegenteil von PR

Dass die Wirtschaftskammer diese Ausbildung anbietet, kann man nicht oft genug hervorstreichen. Ich hoffe, die Verantwortlichen erkennen auch weiterhin den Wert dieses Studienganges und es werden auch weiterhin alle Versuche, Journalismus und PR zu verwischen im Ansatz unterbunden. Denn Journalismus ist das Gegenteil von PR. Journalismus und PR stehen zu einander wie die Vereinigung der Lungenchirurgen und die Tabaklobby.

Aber kommen wir zum Grundsätzlichen. Was bedeutet das eigentlich, ein Journalist zu sein?

Es bedeutet zunächst einmal: Freiheit. In ihrem jungen Leben fand bekanntlich eine Revolution statt. Meinereins saß noch vor dem nationalen Lagerfeuer einer durchgeschalteten Zeit im Bild. Youtube, Twitter und Facebook sind keine 15 Jahre alt. Google gibt es seit 1997. Es ist eine Binse festzuhalten, dass wir in digitalen Echokammern leben, die von Facebooks Algorithmus beliefert werden. Aber wir müssen uns klar sein: die Gesellschaft zerfällt on the long run, sie wird – siehe Trump – leichter manipuliert. Es gibt kein tägliches Lagerfeuer, vor dem Journalisten wie Hugo Portisch für alle verständlich die Lage erklären. Das muss man nicht tränenreich beklagen, so sind die Zeitläufte, aber man muss es wissen.

Noch etwas hat sich verändert: Vor 20 Jahren gab es auch noch den Glauben, dass sich in Europa das westliche Konzept einer offenen, pluralistischen Gesellschaft völlig durchsetzen werde. Dass europäische Staatenlenker insgesamt das westliche Modell der Grundrechte anstreben, dass sie Meinungs- und Pressefreiheit nicht nur achten, sondern fördern werden. Auch das hat sich geändert.

Blicken wir in unsere Nachbarländer, die vor 28 Jahren ihre Freiheit erkämpften, nach Polen und Ungarn. Oder noch ein bisschen weiter in die Türkei. Dort stehen Journalistinnen und Journalisten, die ihren Job ernst nehmen, entweder unter massivem Druck der Regierung oder sie sitzen als angebliche Terroristen ohne Anklage wie Geiseln im Gefängnis.

Dass Journalisten eingesperrt werden, ist nichts Neues. Was mich so nervös macht: den meisten Bürgerinnen und Bürgern ist das offensichtlich völlig egal. In der Türkei stimmten sie für Erdogan, obwohl er die Presseleute einkerkerte.

"Negative-Campaigning" gegen Journalisten

Bei uns ist es natürlich nicht so. Aber die autoritären Politiker aller Couleurs unterstellen uns Journalisten ja gerne, dass wir selektiv berichten, dass wir uns absprechen, dass wir gesteuert seien von oben, dass wir, so ein neues Modewort "Bashing" betreiben. Der blaue Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer nannte uns eine "Schickeria", die im eigenen Saft gare. Sein Politikerkollege Erwin Pröll beklagte gar "gelenkten Journalismus". So als ob da oben einer säße, der uns steuert. Wie der Schelm ist, so denkt er

Langsam wird dieses "Negative-Campaigning" gegen uns auch in Gelehrtenkreisen anschlussfähig: Ein emeritierter Professor sprach neuerdings von "destruktiven" Journalismus, als er einen der besten TV-Journalisten dieses Landes verhöhnte, meinen Kollegen Armin Wolf. Das Anpatzen von ORF-Mann Tarek Leitner, der von sich aus offengelegt hatte, mit Christian Kern auf Urlaub gefahren zu sein, als dieser noch gar kein Politiker war, haben Sie ja mitbekommen.

Auch ernsthafter Journalismus, so sehen wir ganz unmittelbar, ist ein diskreditiertes Gewerbe. In Österreich, da geht es nur um die Ehre. Aber schon ein paar Flugstunden entfernt, in Malta, wird es ernst. Erst gestern wurde unsere Panama-Papers Kollegin Daphne Caruana Galizia mit einer Autobombe ermordet.

Es wäre kokett zu behaupten, dass sie hier in Wien gefährlich leben. Aber es ist nicht vermessen daran zu erinnern, dass der Journalismus ständig zu verteidigen ist. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: nützen Sie ihre Freiheit. Nützen Sie diese extensiv. Das ist nicht nur ihr Privileg, es ist ihre Pflicht

Ernsthaft bleiben ...

Journalismus, ist aber nicht nur Freiheit, er bedingt auch Ernsthaftigkeit. Seien Sie stolz darauf Journalist zu sein, aber bleiben sie dabei ernsthaft. Das bedeutet auch nicht, dass Sie ihren Humor oder die Kunst zur Ironie beim Portier ihres Unternehmens abgeben sollen.

Humor, verpackt in bissiger Satire, kann ein ungemein wichtiges Schmiermittel sein, um Nachrichten zu übertragen, vor allem an ein junges Publikum. Humor im Journalismus kann so treffsicher sein, dass sich Extremisten bemüßigt fühlen, die Mitglieder satirischer Blätter zu ermorden, wie in Paris. Oder sie zu verklagen, wie es der türkische Präsident in Deutschland tat, als ihn Jan Böhmermann verspottete. Der ist ja nicht nur ein Komiker, sondern auch ein exzellenter Journalist.

Aber verwechseln Sie Humor niemals mit Zynismus. Und setzen sie den Zynismus schon gar nicht gegen jene ein, die unter ihnen stehen.

Wenn ich von Ernsthaftigkeit spreche, dann betone ich das große Privileg, das unser Beruf bedeutet: wir werden nicht dafür bezahlt, dass wir Macht ausüben, sondern dass wir Macht kontrollieren. Dass wir auf Distanz gehen.

... weiter studieren

Damit sind wir beim nächsten Schlagwort: Der Kontrolle. Ich glaube, publizistische Kontrolle ist in einer immer komplexer werdenden Welt nur Experten möglich. Kollegen, die sich in Themen einarbeiten und zwar so intensiv, dass sie die Dinge verstehen und durchdringen, gehört die Zukunft in unserem Gewerbe. Aber diese Kollegen sind selten geworden. Sie alle, wie sie hier sitzen, sollten sich, wenn Sie Journalismus ernsthaft betreiben wollen zu Experten hocharbeiten, damit sie den richtigen Leuten zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Fragen stellen können. Eine Ausbildung an der FH ist der erste Schritt in den Journalismus, aber eben nur der erste.

Den "Stenographen-Journalismus", den "Mikrofonständer-Journalismus", den "He-said-she-said-Storyboard"-Journalismus oder die "one-source-stories", die werden in ein paar Jahrzehnten auch Bots und Roboter fabrizieren können – und zum Teil tun sie das ja heute schon.

Ich habe daher eine große Bitte: Studieren Sie weiter: Jus, Medizin, Wirtschaft, Physik, Bankwesen, Bauwirtschaft, was auch immer Sie interessiert. Hören Sie nicht auf. Entdecken Sie ihr Spezialgebiet. Aber bitte entdecken Sie nicht sich selbst als ihr Thema. Fangen Sie daher erst gar nicht damit an, zunächst einmal über sich selbst zu berichten, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken, wie es Mode geworden ist. Erlebnisaufsätze in der Ich-Form können hin und wieder unterhaltsam sein, mit Journalismus, wie ich ihn verstehe, haben sie oft wenig zu tun.

Sich mit der richtigen Welt verflechten

Hören Sie auch damit auf, immer nur aus ihrem nächsten sozialen Umfeld zu berichten. Sondern tun sie zuallererst das, was gute Journalisten immer schon getan haben: Erkunden Sie die Gesellschaft, die sie nicht kennen. Besuchen Sie die unbekannten Orte dieses Staates: Gefängnisse, Asylheime, Psychiatrien, Internate, Problemschulen und Kasernen. Schnüren Sie sich die Schuhe, vernetzen Sie sich – und zwar nicht nur durch eine Freundschaftsanfrage auf Facebook, sondern verflechten Sie sich mit der richtigen Welt.

Tun Sie das, was Leute wie Victor Adler, Max Winter, Emil Kläger oder Egon Erwin Kisch taten, Leitgestirne im Wiener Journalismus: Gehen Sie hinaus! Zuerst zu den Unterprivilegierten und dann erst in die Vorzimmer der Macht. Besuchen Sie diese Leute, hören Sie ihnen genau zu, so als wären Sie Sozialforscher. Verspotten sie die Unterprivilegierten nicht, wie es in Doku-Soaps üblich geworden ist.

Hören Sie hinein, vernetzen Sie sich mit der analogen Welt, die sie umgibt. Sie werden etwas bemerken: sie werden Geschichten erfahren. Ernsthafte Geschichten. Geschichten über unsere Gesellschaft. Geschichten über Missstände und Ungerechtigkeiten. Geschichten über Helden und Reformer. Geschichten, die ihre Leserinnen und Leser berühren werden, weil sie davon betroffen sind.

Nebelwerfer und Echokammern

Wir Journalisten werden nichts über die Gesellschaft erfahren, wenn wir nur mit Pressesprechern, PR-Leuten und Werbeprofis kommunizieren, das sind meistens nur die Nebelwerfer. Wir werden in deren Echokammern keine neuen Erkenntnisse finden. Und wir haben vermutlich auch wenig Erkenntnisgewinn, wenn wir statt eigener journalistischer Arbeiten die Arbeit zunehmend an den "User" auslagern. Eine Geschichte aufzuschreiben, recherchiertes Wissen so aufzubereiten, dass es Leute interessiert, das ist, wie Sie hier gelernt haben, ein Handwerk.

Meine Damen und Herren, ich habe noch eine große Bitte: Seien Sie nicht nur stolz auf ihren Beruf, verteidigen Sie auch ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen. Damit meine ich nicht das Cocktailbrötchen beim edlen Empfang. Ich meine ihre echten Privilegien. Haben Sie wirklich schon verstanden, was es bedeutet, dass unsere Verfassung das freie Wort schützt? Dass nicht wir begründen müssen, warum wir eine Nachricht verbreiten – sondern jene, die uns zensieren wollen, den Eingriff? Wissen Sie, welchen unfassbaren Wert unser Redaktionsgeheimnis darstellt?

Wir dürfen uns vor Gericht der Aussage entschlagen. So wie Priester oder Ärzte und Anwälte. Und zwar deshalb, weil dass wir der Gesellschaft über die Gesellschaft erzählen, extrem unangenehm sein kann. Weil die Überbringer dieser unangenehmen Nachrichten oft existentielle Nachteile erleiden. Vor allem von jenen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden: den Politikern, den Machthabern, den Verantwortlichen, den Beamten.

Wir Journalisten können den Staat abwehren, wenn er zu uns in die Redaktion kommen will, um unsere Zuträger auszuforschen. In vielen westlichen Ländern passiert das wirklich. Wir haben mit dem Obersten Gerichtshof aber seit einiger Zeit einen mächtigen Verbündeten, der unsere Meinungsfreiheit und unser Redaktionsgeheimnis extensiv schützt. Selbstverständlich ist das alles nicht.

Journalismus als Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft

Meine Damen und Herren! Sie wissen es: Journalismus ist nicht ein Job, in dem es darum geht "irgendwas mit Medien" zu machen. Journalismus bedeutet nicht, auf Twitter rumzudodeln oder irgendwas auf Facebook zu posten, wie wir es alle gerne machen in unserer Freizeit, mich eingeschlossen.

Journalismus ist eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Ohne Journalismus ist die Gesellschaft nicht im Stande, sachlich fundierte Meinungen über die Res Publica zu bilden. Und wer sich keine Meinung bilden kann, der kann auch nicht wählen. Der Journalismus ist, wenn Sie so wollen, der Bruder der Demokratie.

Und darauf seien sie bitte stolz und hören Sie nicht den Jammerern zu. Sie singen immer das gleiche Lied. Der Journalismus wurde ja in den 25 Jahren, die ich beruflich zurückblicken kann, immer krank gejammert und diskreditiert. Als ich 1992 das erste Mal eine Redaktion einer Tageszeitung betrat, ermahnte mich der Ressortleiter, ich möge keine Artikel schreiben, die länger als eine Zigarettenpackung sind. Man könne dem Leser "Grabplatten" nicht zutrauen. Und als ich ein paar Jahre später als Praktikant bei einem Magazin andockte, wurde uns erklärt, man solle bitte mehr "Weißraum" schaffen, weil die "Bleiwüsten" dem Leser nicht zuzumuten seien. Und dann kam eine Generation, die uns Journalisten ausrichtete, dass unser Geschäftsmodell am Ende sei, weil wir uns hinter einer "paywall" verstecken, anstatt unsere Arbeit zu verschenken.

Grabplatten, Wüsten, Mauern. Sie sehen das "Framing"?

Diese Verunsicherung war für viele von uns ansteckend. Wir vergaßen, dass unsere Arbeit etwas kostet und einen Wert hat. Manche arbeiteten dann tatsächlich gratis. Selbst die ganz großen Verleger beteuerten, man müsse den "Content", so nannte man damals unsere Arbeit, einfach verschenken im Internet, dann würden so viele Leute darauf aufmerksam, dass sich die Werbung quasi wie von selbst einfinde. So lautete die Wette.

Die haben wir nicht gewonnen. Wir alle haben, wie wir heute wissen, nicht mit Facebook, Google und Apple gerechnet, diesen steuerflüchtigen Giganten, die nicht nur unsere Aufmerksamkeit aufsaugen, sondern vor allem auch die Werbe-Etats und die sich auch noch unserer Inhalte bemächtigen. Wir Dummköpfe – und dabei schließe ich mich ein – beliefern diese Giganten kostenlos mit den Früchten unserer Arbeit.

Wer wird bezahlen?

Ich glaube, es wird in Zukunft nur am Rande um die Frage gehen, ob wir unsere Informationen auf Papier verbreiten oder über ein Tablet. Der Streit "print" vs. "online" ist und bleibt ein Scheingefecht. Es geht um etwas ganz Anderes, es geht darum, wer für unsere Arbeit bezahlen wird? Die Werbeindustrie? Die zieht sich zurück. Und sie hat uns signalisiert, dass sie die Krawallmedien bevorzugt, weil man dort die Berichterstattung auch mal kaufen kann. Der Staat? Er neigt dazu, Journalisten zu korrumpieren. Einzelne Mäzene? Es gibt einige tolle Initiativen, nicht zuletzt auch in Österreich und Deutschland. Aber so ganz traue ich den edlen Spendern und ihrem Versprechen die reine Wahrheit wissen zu wollen nicht über den Weg.

Ich bin daher ein Anhänger eines ganz altmodischen Geschäftsmodells: Ich will die Leserin und den Leser dazu bringen, dass sie für unser Expertentum bezahlen und zwar weil sie erkennen, dass wir etwas wichtiges Liefern: Information über die Res Publica.

Meine Damen und Herren, in den nächsten Jahren werden mit Sicherheit viele revolutionäre Entwicklungen stattfinden. Sie werden viele Experimente wagen.. Vieles wird scheitern, manches gelingen. Aber Sie können sich einer Sache gewiss sein: dass der Bedarf an verantwortungsvollem Journalismus immer gegeben sein wird. Sie können darauf bauen, dass ihre Kunden für Qualität bezahlen werden. Das ist die Hoffnung. Jetzt liegt es an ihnen. (Florian Klenk, 18.10.2017)