Februar 1966, es regnet, sieben lange Tage. Die Concierges im Hotel Mamounia flattern nervös durch das Foyer, die Gäste sind unruhig. Da fliegen sie tausende Kilometer aus Europa nach Marrakesch, und statt die staubroten Mauern unter blauem Wüstenhimmel zu sehen, ertränken sie ihren Frust mit Whisky an der Bar.

Plötzlich, über Nacht, verschwinden die Wolken. Morgens strahlt die Sonne, die Vögel singen, intensiver Jasmingeruch kriecht bis in die Zimmer hinauf. Und die marokkanische Stadt präsentiert ihr Farbenspektrum. Karmesinroter Backstein, meeresblauer Himmel, dazu der schneebedeckte Atlas am Horizont. "In Marrakesch habe ich Farben entdeckt", sagte der Modeschöpfer Yves Saint Laurent später einmal. An jenem Tag im Mamounia nahm seine Liebesbeziehung zur Stadt seinen Anfang.

Yves Saint Laurent, in den 1970ern im Kaftan, fotografiert von seinem damaligen Lebensgefährten Pierre Bergé.
Foto: Pierre Bergé

Eine Zuneigung, die Marrakesch heute erwidert. Überall an den Straßen hängen große Plakate mit dem Gesicht des Designers, tausende Touristen besuchen den Jardin Majorelle, den Garten von Saint Laurent und seinem Lebensgefährten Pierre Bergé. Es gibt Postkarten, Bücher, Drucke vom und über den Designer, im Hotel Four Seasons haben die Köche sich zu einem Saint-Laurent-Menü inspirieren lassen (Saharajacke: im Tontopf geschmortes Kamelfleisch, Parfum Black Opium: ein Schokoladen-Mandarinen-Parfait), und vor zwei Wochen öffnete das neu gebaute Museum für Yves Saint Laurent. Zur Einweihung kamen Catherine Deneuve, Bianca Jagger, Betty Catroux, allesamt Weggefährten und enge Freundinnen.

Bis zu seinem Tod 2008 faszinierte den Designer die Wüstenstadt. Er verbrachte mehrere Monate jedes Jahr dort, lebte in drei verschiedenen Häusern, erst in der alten Medina, schließlich in dem verwunschenen Park vor der meterdicken Stadtmauer. In Marrakesch fand er Ruhe und Inspiration, er zeichnete stundenlang im Garten an seinen Entwürfen, skizzierte seine grandiosen Einfälle, den Hosenanzug für Frauen, die Erfindung des Safarilooks, trug dazu Kaftans oder Anzughosen, ließ sich die Haare mal schulterlang wachsen und dann wieder akkurat zurechtstutzen.

Bester Freund Marrakesch

"Seine lebenslange Geliebte war die Schönheit", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" in einem Nachruf. Sein bester Freund war Marrakesch. Die Stadt gab ihm die Freiheit, er selbst zu sein, seine früh errungene Prominenz in Paris abzulegen und zu werden, was er sich am meisten wünschte: ein Namenloser in der Masse, ein Homosexueller unter anderen, ein in Algerien Geborener, der die Sonne und Farben Nordafrikas brauchte.

Saint Laurent versuchte zeitlebens, Moderne und Traditionen zu verknüpfen. Die Architekten des neuen Museums haben versucht, diese Spannung in ihr Gebäude aufzunehmen. Traditionelle Terrakottaziegel aus Tetouan, der nordmarokkanischen Stadt, die für glasierten Backstein berühmt ist, formen einen modernen Flachbau, der an den Ecken abgerundet ist und keine Fenster an der Frontfassade hat – wie viele marokkanische Häuser.

In Marrakesch konnte Yves Saint Laurent er selbst sein: der neue Museumsbau, entworfen vom Pariser Architekturbüro Studio KO.
Foto: Nicolas Mathéus

Drei Etagen mit mehr als 4.000 Quadratmeter Grundfläche, es gibt einen Veranstaltungsraum für Opern- oder Theateraufführungen. "Wir wollen nicht nur ein Museum, sondern ein Kulturzentrum sein", sagt Direktor Björn Dahlström. Im Inneren lässt ein grün gekachelter Hof Sonnenlicht hinein wie in den Riads der Medina, zwei kleine Gärten flankieren das Gebäude. 19 Monate bauten die Arbeiter an dem Gebäude, etwa 15 Millionen Euro kostete die Fertigstellung.

Bis zum Februar zeigt eine Wechselausstellung Werke des Malers Jacques Majorelle. Er bebaute in den 1920er-Jahren das Grundstück, auf dem Saint Laurent wohnte, und ließ seine Häuser in dem Farbton bemalen, den er auch auf seinen Gemälden gern verwendete: ein kräftiges Blau. Die Gebäude ziert noch heute der für Marrakesch untypische Anstrich.

Die ständige Ausstellung des Museums ist der Inspiration von Yves Saint Laurent gewidmet. Das ist der Unterschied zum Pariser Atelier, das fast zeitgleich als Museum eröffnet wurde und eine Retrospektive zeigen soll. Wie er gearbeitet hat, können Besucher an der Seine erfahren, was ihn gefesselt hat, sollen sie in Marokko erleben. Es ist wie die Trennung zu Lebzeiten: Paris war Pflicht, Marrakesch Kür.

Mondrian-Kleid und Parcours unter dem künstlichen Sternenhimmel: Die ständige Ausstellung des neuen Museums in Marrakesch ist der Inspiration des Modedesigners Yves Saint Laurent gewidmet.
Foto: Christophe Martin Architectes

Gleich zu Beginn der Ausstellung hängt das berühmte Kleid mit dem grafischen Druck von Piet Mondrian, das am meisten kopierte Kleid der Modegeschichte, wie Direktor Dahlström sagt. Sein Lieblingsstück ist jedoch ein Entwurf aus den 1970er-Jahren, es geht nun weiter in den Saal hinein, einen Parcours unter einem künstlichen Sternenhimmel entlang, vorbei an schwarzen Abendkleidern und einem großen Foto des Gewürdigten, von dem er neugierig auf den Designlaufsteg herunterzuschauen scheint.

Schönstes Stück

Und dort hängt des Direktors schönstes Stück. Es sieht auf den ersten Blick bäuerlich aus. Eine weiße Blume mit Stickmuster. Inspiriert hat Yves Saint Laurent dazu das Gemälde "Die rumänische Bluse" von Henri Matisse, einem seiner Lieblingsmaler. Es zeigt eine Frau in ebensolcher Tracht. Nur ohne das dunkelblaue Samtkleid, das hat Saint Laurent ihr noch hinzugefügt – und dem Model einen marokkanischen Fes auf den Kopf gesetzt. Ein verspielter, nahe an der Kunst geratener Entwurf von 1981. Der Direktor ist verzückt.

Der wichtigste Rückzugsort für den Modeschöpfer, das betont Dahlström, war das 48.000 Quadratmeter große Grundstück mit Park und Haus, das sich gleich neben dem neuen Museum befindet. Villa Oasis nannte Saint Laurent das zweigeschoßige Wohnhaus in Tiefblau, das im orientalischen Stil gebaut worden war. Etwa die Hälfte des Gartens ließ er wie dessen Erbauer für Besucher offen.

Der 1966 von Yves Saint Laurent aufgekaufte Jardin Majorelle, der sich direkt neben dem neuen Museum befindet.
Foto: APA / AFP / Fadel Senna

Wenn Yves Saint Laurent in Marrakesch weilte, wurde der öffentliche Teil jeden Tag um 12.00 Uhr für zwei Stunden geschlossen, alle Angestellten hatten das Gelände zu räumen, und nur der Hausherr durfte allein mit seiner Französischen Bulldogge durch den Bambushain spazieren. Er liebte diesen Ort so sehr, dass seine Asche im Rosengarten vor der Villa verstreut wurde. Pierre Bergé ist seit kurzem bei ihm. Er starb vor einem Monat, seine Asche wurde an derselben Stelle beigesetzt. Eine römische Säule, an Land gespült in der Nähe von Tangiers, erinnert an Yves Saint Laurent. Sie steht im Jardin Majorelles. "Mehr als 600.000 Menschen besuchen jährlich den Garten", schrieb Bergé in seinen Memoiren. "Es beglückt mich, dass sie an Yves denken, dass sie sich an ihn und seine Arbeit erinnern. Künstler haben so ihre Art, nicht richtig zu sterben." (Ulf Lippitz, 17.11.2017)