Wenn Robert Plant zu singen anhebt, schüttet das Gehirn Glückshormone aus. Auch noch 2017.

Nonsuch / Warner

Wien – Mystik und Fußball, Blues und Energiefelder. Wofür man sich halt so interessiert, wenn man viel Tagesfreizeit hat. Robert Plant hat sie. Und er hat den Kontostand, um sich noch 300 Jahre für jeden Bullshit der Welt interessieren zu können, wenn die Pumpe mitmacht. Aber ganz so abgedreht ist er doch nicht.

Der Mann, der mit Led Zeppelin 250 Millionen Platten verkauft hat, mag sich in Momenten des Müßiggangs in Randthemen verlieren, sobald er aber im Studio steht, ist er Robert Plant, die Stimme von Led Zeppelin. Nun hat er wieder ein Album aufgenommen. Es heißt "Carry Fire", und er hat es mit der Band The Sensational Space Shifters eingespielt.

Eine Treppe in den Himmel

Der Bandname ist okay, wenn man an Plants toxische Selbstversuche denkt und daran, dass er einst eine Treppe in den Himmel anschaffen wollte. Schon 2014 half ihm dieselbe Band Appalachenfolk mit einschlägiger Atmosphäre zu veredeln, auf "Carry Fire" begleitet sie ihn auf neues Terrain. Aber nicht gleich.

"The May Queen" heißt der Opener des Albums. Er setzt dort an, wo Plant auf dem Album Lullaby And ... The Ceaseless Roar aufgehört hat: mit akustischem Folk, herzerwärmend produziert.

Der Opener von Robert Plants neuem Album: "The May Queen."
Robert Plant

Dann, nach einer halben Minute, beginnt er zu singen, und es ist, als würde jemand das Rocklexikon auf der Seite mit Led Zeppelin aufschlagen. Diese Stimme – sie ist die Kirsche auf ein paar Dutzend der besten Rocksongs aller Zeiten. Brav frühkindlich geprägt schüttet das Gehirn ein paar Glückshormone aus: Aaaaah.

Dabei ist ausgerechnet Plant einer der wenigen Weltbürger, die an einer Led-Zeppelin-Reunion nicht interessiert sind. "Carry Fire" hilft zu verstehen, warum er lieber nach vorn blickt als zurück. Denn mit jedem Song, den er tiefer ins Album wandert, verändert er dessen Charakter. Dabei fallen prächtige Songs wie "New World ..." ab.

Neumoderne Geschütze für den Blues

Hin zur Mitte versteigt er sich stärker in rhythmusbetonte Lieder. Das interessiert Plant mehr, als mit seinen alten Haberern "Stairway To Heaven" zu singen. In seine aktuellen Songs fließt sein Interesse an afrikanischer und arabischer Musik ein, die afghanische Folklore beeinflusste den Titelsong.

Diese Charakteristika werden seinem Bluesformat eingemeindet. Von der Themenlast, die seine Lieder schultern, besitzen alle elf Songs eine Bluesbreitseite. Dabei fährt der 69-Jährige ein paar neumoderne Geschütze auf. Seit seiner Trennung von der US-Sängerin Patty Griffin lebt er wieder zu Hause in England, im Black Country, in der Nähe von Wales.

Unbeachtet in der Provinz

In der britischen Provinz schert sich keine Sau um den ehemals größten Rocksänger der Welt. Dort denkt der alte Hippie mit den langen Haaren und dem faltigen Antlitz über Donald Trump oder den Brexit nach, und das taugt ihm nicht. Da versucht er, wenigstens musikalisch keine Grenzen zu ziehen, und lebt das bunte Miteinander auf seine Weise aus.

Dabei entstanden so düstere wie einnehmende Songs. Einer wie Keep It Hid lässt Plants Interesse an Formationen wie Massive Attack und Acts wie Tricky erkennen. Unter diesen Vorzeichen interpretiert er eine alte Rocka billy-Nummer von Ersel Hickey: "Bluebirds Over The Mountain."

Donner und Gefühl

Das ist ein Song, den Richie Valens berühmt gemacht hat. In der Version von Plant wirkt er eher wie von Laibach in den Boden gerammt – wäre da nicht seine Stimme, die dem eigentlich lieblichen Song noch im wüsten Gedonner seine ursprüngliche Gefühligkeit verleiht, so wie nur Plant es kann. Oder Chrissie Hynde.

Die Sängerin der Pretenders taucht in "Bluebirds Over The Mountain" als Duettpartnerin auf. Es ist das vielleicht schönste Lied des Albums. Ein 60 Jahre alter Song, den Plant auf seine Relevanz im Heute abklopft und feststellt, ja, das gilt.

Robert Plant und Chrissie Hynde interpretieren den Rockabilly-Song "Bluebirds Over The Mountain".
Robert Plant

Plant erweist sich mit "Carry Fire" einmal mehr als sichere Bank. Er mag daherkommen wie ein wurzelseppiger Esoteriker. Doch im Studio ist er ein instinktsicherer Blueswiedergänger, der jeder düsteren Dröhnung eine Melodie verpasst, die den Song in den Himmel hebt. Also wie früher, nur ohne Treppe. (Karl Fluch, 25.2017)