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Im EU-Parlament in Straßburg beraten am Mittwoch die Abgeordneten über teils schwere Vorwürfe der sexuellen Belästigung von Mitarbeitern des Parlaments. Betroffen sind vorwiegend Frauen.

Foto: AP/Jean Francois Badias

Straßburg/Brüssel/Wien – In den vergangenen Tagen erreichten Berichte über sexuelle Belästigungen von Frauen durch Abgeordnete des EU-Parlaments und ihre Mitarbeiter ein neues Ausmaß. Von Gegrapsche, unsittlichen Angeboten, sexuellem Bedrängen bis hin zu Vergewaltigungen finden sich die verschiedenen Formen sexueller Gewalt auf der Liste der Anschuldigungen.

Eine Betroffene nannte das EU-Parlament in der "Sunday Times" gar eine "Brutstätte der sexuellen Belästigung". Zwei ehemalige EU-Parlamentsmitarbeiterinnen berichten etwa von Vergewaltigungen durch Kollegen. EU-Arbeitsverträge sollen als Gegenleistung für Sex angeboten worden sein. In einem Fall habe ein Parlamentarier vor einer jungen Assistentin masturbiert.

Weiters seien junge Frauen zu Abendessen oder in Bars geschickt worden, um mit sexuellen Gefälligkeiten Entgegenkommen bei Gesetzestexten zu erwirken. Ein Mitarbeiter des EU-Parlaments habe erzählt, von Abgeordneten aufgefordert worden zu sein, ihnen Prostituierte zu besorgen, berichtete "Politico".

93 Betroffene melden sich anonym

In den vergangenen Tagen haben sich immer mehr Politikerinnen der #metoo-Kampagne angeschlossen. Die schwedische Ministerin für Gleichstellung, Åsa Regnér, berichtete etwa davon, auf dem Weg zu einem Termin mit einem hochrangigen EU-Politiker in eine Bar gegangen zu sein. Sie dachte, sie würden Berufliches besprechen. Doch es kam anders. "Ich hatte seine Hände überall." Sie habe sich dumm gefühlt, erzählt sie. "Warum dachte ich, er wäre an meiner Meinung interessiert?"

Bis Dienstag hatten sich bei "Politico" 87 Frauen und sechs Männern gemeldet. Sowohl Opfer als auch mutmaßliche Täter wurden auf Bitte der Betroffenen anonymisiert.

Die "Sunday Times" nannte allerdings namentlich den grünen Abgeordneten Yves Cochet, der anzügliche SMS an eine Mitarbeiterin geschickt haben soll, die eine Einladung ausgeschlagen hatte: "Ich möchte doch meine Leidenschaften, Träume und Fantasien mit dir teilen. Ich weiß, es ist ein Klischee – ein alter Mann, der eine hübsche junge Frau einlädt. Aber hast du Angst davor, was die Leute sagen könnten?"

Beratung des EU-Parlaments

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zog erste Konsequenzen. Am Mittwoch wird das Thema im Plenum diskutiert. Dabei soll es einen Entschließungsantrag geben, in dem der hauseigene Ausschuss zur Belästigung am Arbeitsplatz gestärkt werden soll. Die Anlaufstelle gibt es seit 2014, doch Tajani zufolge hat sie noch niemand in Anspruch genommen.

Jene Parlamentsmitarbeiterinnen, die am Mittwoch Vergewaltigungsvorwürfe erhoben, gaben "Politico" zufolge jedoch an, die Vorfälle sehr wohl der entsprechenden Stelle im EU-Parlament gemeldet zu haben. Parlamentssprecherin Marjory van den Broeke bestätigte lediglich, dass es mehrere Fälle von sexueller Belästigung in den vergangenen Jahren gegeben habe. Diese seien entsprechend geahndet worden, so seien etwa Mitarbeiter suspendiert worden.

Angst vor Stigmatisierung

Viele Frauen würden sich aber aus Angst nicht melden, erklärt Monika Vana, grüne Abgeordnete im EU-Parlament, im Gespräch mit dem STANDARD. "Aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes, vor Stigmatisierung oder vor einem komplizierten juristischen Verfahren."

Sie selbst war vom Ausmaß überrascht. Dennoch befürchtet sie, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. "Dass Frauen es immer wieder mit abwertenden Bemerkungen zu tun haben, ist State of the Art, auch im Europaparlament." Die Weinstein-Affäre habe eine wichtige Debatte ins Rollen gebracht.

Den Vorwurf an Frauen, sie würden die Machtstrukturen als Karrierechance verwenden, lässt sie nicht gelten. "Das impliziert eine Vorsätzlichkeit." Viel eher denkt sie, dass "die Machtmechanismen, in denen wir leben, dazu führen, dass Frauen sich nicht wehren, weil sie denken, dass ihre Karriere zu Ende wäre".

Mehr Personal und Kompetenz

Konkret soll der Entschließungsantrag dazu führen, dass sich Betroffene bei dem Ausschuss melden, um Vorwürfe prüfen, Sanktionen verhängen oder sogar strafrechtliche Schritte einleiten zu können. Zu den Sanktionen zählen die öffentliche Rüge, Strafzahlungen oder der Verweis aus dem Plenum – verhängen kann sie der Parlamentspräsident.

Der Ausschuss soll personell gestärkt und eine Lücke geschlossen werden: Praktikantinnen und Praktikanten fallen nicht in seine Zuständigkeit – eine besonders gefährdete Gruppe. Auch eine externe Untersuchung der Vorwürfe soll am Mittwoch besprochen werden. Bisher hat sich Präsident Tajani dazu aber noch zögerlich gezeigt. (Anna Sawerthal, 25.10.2017)