Das 59. Wohnsymposium von STANDARD und dem Fachmagazin "Wohnen Plus" drehte sich um das Thema Mobilität.

Illustration: Oliver Schopf

Wien – Als Ort der Diskussion für das STANDARD-Wohnsymposium war das Technologiezentrum der Seestadt Aspern bestens geeignet. Auf dem ehemaligen Flugfeld im Osten Wiens entfaltet sich schließlich ein großes stadtplanerisches Versuchslabor – auch für Verkehr. "Wir sind per definitionem ein Stadtteil mit dem Plus", sagte Gerhard Schuster, Vorstandsvorsitzender der Wien 3420 AG, der Entwicklungsgesellschaft der Seestadt. Es soll sowohl Privatautos als auch Rad-, Fuß- und öffentlichen Verkehr in der Seestadt geben. "Wir sind überzeugt, hier eine Stadt der Zukunft zu bauen", sagte Schuster.

Wie eine Stadt der Zukunft, die funktioniert und lebenswert ist, ihre Mobilität organisieren sollte, treibt Stadtplaner und Politiker auf der ganzen Welt um. In den westlichen Metropolen, die ihre Hausaufgaben machen wollen, spielen öffentliche Verkehrsmittel und Radwege schon heute eine herausragende Rolle. Das Auto, in ländlichen Gebieten oft unersetzlich, hat sich in Städten der Größenordnung Wiens als Allheilmittel überlebt – und wird zunehmend als Problem gesehen. Nicht nur in der Seestadt Aspern, sondern in ganz Wien gibt es die Zielsetzung, den Mix der Mobilität in Richtung Öffis, Radfahrer und Fußgänger zu verschieben.

Auto-Anteil soll auf 20 Prozent schrumpfen

Das angestrebte Verhältnis der Fortbewegungsarten in Wien für das Jahr 2025 umriss Angelika Winkler von der MA 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung so: 80 Prozent der Wege sollen mit Transportmitteln des Umweltverbundes – Öffis, Fahrrad und zu Fuß – zurückgelegt werden, 20 Prozent mit dem Pkw. "Derzeit liegt der Anteil des Autos noch bei 27 Prozent", sagte Winkler. "Wir sind also auf dem Weg."

Der selbstverständliche Autobesitz oder gar das Zweitauto gerät in größeren Städten zum Auslaufmodell. Das zeigte sich bei dem vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierten Symposium auch dadurch, dass selbst Politiker von Grünen und FPÖ beim Verkehrsthema Schnittmengen finden. Das Auto bleibe ein hochemotionales Thema, sagte Christoph Chorherr von den Wiener Grünen: "Autowerbungen reflektieren überhaupt nicht, dass man mit dem Fahrzeug von A nach B kommt, sondern es geht um Freiheit oder Sexualität." Alexander Pawkowicz, Wohnbausprecher der traditionell autofreundlichen FPÖ Wien, gab sich gegenüber Öffis und E-Autos aufgeschlossen. Er sei "bei sämtlichen Carsharing-Betreibern angemeldet", so der dreifache Familienvater. "Ich habe trotzdem ein eigenes Auto, weil es beim Carsharing teilweise an so trivialen Zusatzleistungen wie Kindersitzen scheitert."

Ein Problem für die Lebensqualität sind Autos nicht nur, wenn sie gerade bewegt werden. Die Menge öffentlichen Raums, die Parkplätze verschlingen, thematisierte Harald Frey vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien: "Wir bauen nach wie vor zu viele Stellplätze, und wir bauen sie falsch." Wo diese Raum bekämen, fehle dieser natürlich für Schanigärten, Spielplätze oder Bäume.

Lob für Sammelgaragen

Frey lobt darum Sammelgaragen, wie sie im Sonnwendviertel und in der Seestadt gebaut werden. Den Vorteil des Sammelparkens sieht man in der Seestadt darin, dass der öffentliche Raum attraktiv bleibe und genug Platz für Fußgänger und Radfahrer biete. Architekt Hubert Hermann befand ebenfalls, die auf den Autofahrer zugeschnittene Stadt habe sich aus den meisten Köpfen verabschiedet. "Die übertriebenen Verkehrsflächen, die in meiner Jugend noch die Städte durchfurcht haben, erobern sich die Bewohner heute zurück", skizzierte Hermann den Paradigmenwechsel.

Einen berechtigten Zwischenruf im Gleichklang in Richtung eines autofreien Stadtlebens machte Herwig Pernsteiner, Direktor der gemeinnützigen ISG in Ried im Innkreis. In vielen Regionen werde man auch weiterhin nicht auf das Auto verzichten können, die Branche sollte dort nicht an den Bedürfnissen der Kunden vorbeibauen. In Braunau am Inn etwa könne man zwar vielleicht auf das Auto verzichten, sei aber im Alltag deutlich eingeschränkt. Das autofreie Leben ohne Abstriche sei "beschränkt auf die Städte Wien, Graz, Linz und vielleicht Innsbruck", konstatierte Pernsteiner (siehe auch Artikel).

Aus der Wiener Perspektive meinte Martin Orner, Obmann der Baugenossenschaft EBG, allerdings: "Die Politik überschätzt den Bedarf an motorisiertem Individualverkehr immer noch." Mit guter Infrastruktur und öffentlicher Anbindung sei für viele Bewohner ein Auto kein Muss mehr. (Lukas Kapeller, 25.10.2017)