Die mediale Vermarktung der Politik verlangt von Politikerinnen und Politikern, Schauspielerinnen und Schauspieler zu werden.

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Als "Schlammschlacht", "Tiefpunkt der politischen Kultur" und "größter politischer Skandal der Zweiten Republik" wurde der Wahlkampf bezeichnet. Trotzdem ist es jetzt verdächtig still geworden. So still, dass der Lärm der Wochen vor der Wahl immer noch in meinem Kopf nachhallt. Die Logik des Wahlkampfes lautete: Wer lauter schreit, verschafft sich Gehör. Das galt nicht nur für die Kandidatinnen und Kandidaten. Die Parteien waren auf Stimmenfang aus, die Zeitungen auf Leserfang, die TV-Sender konkurrierten um Marktanteile, und die Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken sammelten Likes.

Es war die Maximierung der Aufmerksamkeit, die das öffentliche Geschehen bestimmte. Die Wählerinnen und Wähler wurden folgerichtig nicht mehr angesprochen, sondern angeschrien, so gut wie pausenlos und aus allen Richtungen. Die mediale und politische Skandalisierung des Wahlkampfs war eine Hysterie ohne Empörung.

Je mehr TV-Spektakel ich gesehen, Artikel gelesen und Beiträge in den sozialen Medien konsumiert habe, umso mehr habe ich mich entfremdet und abgestumpft gefühlt. Der Wahlkampf glich einem Theaterstück, einem Spiel der Sprache, einer Inszenierung, in der Hypothesen um die geistige Vorherrschaft in diesem Land kämpften. Gut zu beobachten war das in den TV-Duellen, in denen Kandidaten und Kandidatinnen ihre schauspielerischen und rhetorischen Fähigkeiten gegeneinander einsetzten durften. Mit ihren Botschaften versuchten sie den Helden oder die Heldin in ihrer jeweiligen Erzählung zu mimen. Die dramaturgischen Prinzipien dahinter: Wiederholung und Intensivierung.

Das Paradox über den Politiker

Die Ambivalenz zwischen Sein und Schein war bestimmend für diesen Wahlkampf. Aber nicht wegen des Dirty Campaignings mit irreführenden Fake-Facebook-Seiten, sondern weil der modernen, medialisierten Politik ein Paradox zugrunde liegt, das vor mehr als 200 Jahren von Denis Diderot anhand des Schauspielers beschrieben wurde*. Die Authentizität der Kandidatinnen und Kandidaten muss bis ins kleinste Detail inszeniert sein. Nichts ist dabei dem Zufall überlassen – und schon gar nicht dem Bauchgefühl. Spontaneität und Authentizität entstehen nur durch geplante und kontrollierte Nachahmung von vorher festgelegten Handlungen.

Die mediale Vermarktung der Politik verlangt von Politikerinnen und Politikern, Schauspielerinnen und Schauspieler zu werden. Sie performen einen von Strategen erdachten und an Testgruppen erprobten Inhalt mit dem Ziel, ihre Wählerschaft emotional zu aktivieren. Wer von Werten spricht, meint Emotionen. Sie appellieren wahlweise an unsere Angst, unsere Gier, unseren Stolz, unsere Eifersucht, unseren Ärger sowie – deutlich seltener – an unser Mitgefühl, unseren Mut oder unsere Freude. Ich bin nicht politikverdrossen, ich bin emotional erschöpft.

Und danach?

Vergessen und verdrängt sind die Skandale, die "Super-GAUs". Sie waren nur Mittel zum Zweck, eine Art Deus ex Machina für Sebastian Kurz. Augen nach vorne, den Scherbenhaufen einfach links liegen lassen.

Aufmerksamkeit zu bekommen, ist etwas gänzlich anderes, als Wirkung zu haben. Ersteres tut so, als ob, Zweiteres bietet tatsächlich Möglichkeiten zur Veränderung. Aber jene, die am Wahltag die meiste Aufmerksamkeit auf sich bündeln konnten, sind jetzt mit Wirkungsmacht ausgestattet. Jetzt verschwimmen die Grenzen zwischen Inszenierung und Gestaltung.

Es ist wichtig, dass wir uns davon nicht blenden lassen und genau differenzieren, denn der Widerstand gegen Inszenierungen funktioniert mittels Dekonstruktion, Aufzeigen und Umdeuten. Das Internet und die (sozialen) Medien sind geeignete Orte; Humor eines der besten Mittel, um die Inszenierung der Macht zu entlarven. Aber der Widerstand gegen die gestaltende Macht muss auf der Straße passieren. Aber dafür braucht es Empörung ohne Hysterie. Nicht umgekehrt. (Manfred Rainer, 27.10.2017)