Rötliche Haare, durchsichtige Haut, darunter ein paar Knochen, vielleicht 50 Kilo alles zusammen: King Krule.

Foto: Frank Lebon

Wien – Wäre der Song eine Hose, sie wäre ihrem Träger bis an die Knöchel gerutscht. Das Lied heißt The Locomotive. Es steht stellvertretend für viele Tracks von King Krule. Bei dem Namen wächst dem gelernten Presleyaner natürlich sofort die Tolle. Und tatsächlich beleiht der Künstlername von Archy Marshall den King, dessen Film King Creole. Dabei wirkt seine Musik nicht, als besäße sie den Ehrgeiz, sich nach den Größten zu strecken. Dafür wirkt sie zu lasch, zu faul, dafür bohrt der Saxofonist während seiner kurzen Einsätze zu oft in der Nase.

King Krule

Archy Marshall ist eine Kaulquappe aus London. Rötliche Haare, durchsichtige Haut, darunter ein paar Knochen, vielleicht 50 Kilo alles zusammen. Vor vier Jahren hat er sein Debütalbum veröffentlicht, dann war Pause, dann legte er unter eigenem Namen nach, dann war Pause, und, man ahnt es bereits, jetzt hat er als King Krule wieder ein Album veröffentlicht. Es heißt The Ooz.

Als Mike Skinner alias The Streets vor 15 Jahren mit seinen zynischen Alltags- und Nachtlebensbetrachtungen als Held einer seltsamen Generation wahrgenommen wurde, bemächtigte er sich immerhin der gerade angesagten Bassmusik, damals Grime gerufen. King Krule erfindet gar nichts, und wenn es da draußen einen neuen Trend gäbe, er spränge nicht auf. Stattdessen schleicht er wie von Geburt an desillusioniert durch sein Viertel in Südlondon. Home is where the mobile läutet.

Nuschelnder König

Seine Songs sind oft nur Skizzen. Ein verklimpertes Keyboard, ein Auslaufrillenrauschen, das Saxofon trötet brustschwach, und dieser König ohne Reich nuschelt dazu Texte ins Mikrofon. Manchmal bemüht der 23-Jährige dafür so etwas wie Bossanova. Aber natürlich ist es eine abgegriffene Version, frei von jedem Lounge-Glamour, bar jeder Eleganz.

King Krule

King Krule ist in seiner Schäbigkeit eine Neuauflage des Punk. Eines Punk, der sein No Future hinter sich gebracht hat. Hin und wieder rafft er sich zu einem schlappen Hip-Hop-Beat auf, Songs wie Lonely Blue jazzeln mit schweren Füßen über den Tanzboden, und mehr als einmal fragt man sich, ob dieses Album genial oder doch bloß Schrott ist.

Manchmal erinnern die Resultate an Sebadoh, das Low-Fi-Projekt des US-Musikers Lou Barlow. Der erging sich phasenweise in ähnlichen Eruptionen. Doch Eruptionen erfordern eine gewisse Grundenergie, und die spart sich King Krule für sehr wenige Stücke. Etwa Emergency Blimp. Das rockt windschief, am Ende pfeifen Synthesizer und das Saxofon, und es ist schon lässig. Doch mag sich die Frage "Was will uns der Künstler damit sagen?" bis zum Ende nicht beantworten. King Krule ist das Gegenmodell des Ehrgeizes, der Gegenentwurf zum Erfolgsmodell, eine kafkaeske Gestalt, die ihre Ängste und Zustände in sehr seltsame Songs verpackt.

Genial oder Schrott?

Marshall füllt ganze vier Plattenseiten mit seinem Material, das Format führt er mit seiner Zerrissenheit aber ad absurdum. The Ooz erscheint als eine beliebige Aneinanderreihung von Schüben, mehr oder weniger kreativ, mehr oder weniger verschlossen. Mit "I'm used to say I don't belong" deklariert er in A Slide In (New Drugs) jene Außenseiterrolle, die ihm jeder Song ohnehin zuschreibt.

King Krule

Einschlägige Fachmagazine liegen ihm vorsorglich zu Füßen, Vergleiche mit dem jungen Beck tauchen auf. Doch die werden sich so schnell nicht bewahrheiten. Beck war am Kapitalismus und dem Showbusiness geschult, dagegen wirkt King Krule wie vollständig unvermittelbar. Auch wenn ihm mit Songs wie Visual Mikrohits gelingen, gleich mit dem nächsten Lied haut er das Siegesgefühl wieder zusammen: No flow. Die Frage "Genial oder Schrott?" bleibt bis auf weiteres offen. (Karl Fluch, 30.10.2017)