Gerade aus der Logik des Liberalismus heraus sei eine Erbschaftssteuer unverzichtbar, sagt Ökonom Martin Schürz: "Die Leistung besteht darin, aus der richtigen Gebärmutter zu schlüpfen."

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STANDARD: Sie sind Mitherausgeber des neuen, im Studienverlag erschienenen "Handbuchs Reichtum". Was geht Sie das eigentlich an, was andere Leute besitzen?

Schürz: Mir ist bewusst, dass die Leute lieber über ihre sexuellen Praktiken sprechen als über ihre Vermögensverhältnisse. Dennoch geht es alle etwas an, wie der Reichtum verteilt ist: Wenn eine Gesellschaft nicht über die Ressourcen der Menschen Bescheid weiß, lässt sich auch nicht beurteilen, wie einzelne politische Maßnahmen auf diese Menschen wirken. Ausgewogene Wirtschaftspolitik wird so unmöglich.

STANDARD: Viele Menschen empfinden Vermögen aber als Privatsache und haben das Gefühl, dass da eine Neiddebatte geschürt wird.

Schürz: Dieser Verdacht trifft Reichtumsforscher immer schon, deshalb war das Fach jahrzehntelang verpönt. Doch ich sehe nicht, dass den Wohlhabenden vonseiten der breiten Masse Neid entgegenschlägt, denn dieses Gefühl benötigt soziale Nähe. Neidvoll betrachtet man seinen Nachbarn, seinen Arbeitskollegen, also Menschen, die einem relativ nahestehen. Von den Milliarden wirklich reicher Menschen hingegen hat kaum wer eine genaue Vorstellung – und diese haben es immer schon verstanden, eine ungleiche Gesellschaft als nützlich erscheinen zu lassen. Der Schriftsteller Franz Schuh hat präzise festgestellt: Neid sei das einzige Motiv, das sich Geldmenschen bei ihren Gegnern vorstellen wollen.

STANDARD: Die Idee der Erbschaftssteuer etwa gilt Gegnern sehr wohl als Ausfluss einer Neiddebatte.

Schürz: Diese Debatte dreht sich nicht um Neid, sondern um Leistung. Das zentrale Argument für eine Erbschaftssteuer lautet ja: Wenn Arbeit besteuert wird, ist es ungerecht, leistungsloses Erbe zu schonen. Die Daten der Nationalbank zeigen: Selbst wer überdurchschnittlich viel spart, etwa 500 Euro im Monat, braucht 30 Jahre, um auch nur annähernd eine mittlere Wohnung in Wien kaufen zu können.

STANDARD: Wenn sich jemand etwas aufgebaut hat und dies den Kindern weitergeben will: Steckt da nicht auch Leistung dahinter?

Schürz: Ja, aber nicht die der Erben. Die Leistung besteht darin, aus der richtigen Gebärmutter zu schlüpfen, die Tüchtigkeit der Eltern aber ist nicht auf die Kinder vererbbar. Gerade in der Logik des Liberalismus, in der die Erbschaftssteuer stärker verwurzelt ist als in linkem Gedankengut, geht es um den Einzelnen, der etwas leisten soll. In den USA plädieren Milliardäre wie Warren Buffett dafür, das Vermögen nicht den Kindern zu vererben, um sie zu motivieren und nicht zu verderben.

STANDARD: Sebastian Kurz sagt, man müsse das aus der Sicht des Erblassers sehen.

Schürz: Wieso? Der ist ja tot. Die Macht der toten Hand ist keine gute Idee in einer Demokratie. Für mich ist steuerfreies Erben ein feudalistisches Relikt, das zu immer mehr Vermögen in wenigen Händen führt.

STANDARD: Ist Österreichs Gesellschaft nicht eh verhältnismäßig egalitär? Der Sozialstaat verteilt nach unten um, gemessen an den verfügbaren Haushaltseinkommen ist die Schere zwischen Arm und Reich laut Sozialbericht trotz Krise nicht auseinandergegangen.

Schürz: Die Einkommen bilden nur einen Teil ab, bei den Vermögen geht es um ganz andere Größenordnungen – und da wurde durch die Abschaffung von Erbschafts- und Vermögensteuern nach oben umverteilt. Das gesellschaftliche Problem dahinter hat Georg Simmel in der Philosophie des Geldes bereits um 1900 beschrieben: Vermögen vermag etwas. Wer viel besitzt, kann Politik beeinflussen, sei es in der Rolle eines Medieneigentümers oder eines Milliardärs, der selbst in die Politik geht. Reiche Menschen verletzen damit das Ziel der politischen Gleichheit.

STANDARD: Laut Nationalbank besitzt das Topprozent der Haushalte 25 Prozent des Gesamtvermögens. Doch wie valide können Daten sein, die auf Haushaltsbefragungen basieren?

Schürz: Die Daten sind von hoher Qualität, geben aber keine Information zu den reichsten Menschen. Reiche geben nun einmal ungern freiwillig Auskunft.

STANDARD: Forscher der Uni Linz haben die Daten im Auftrag der Arbeiterkammer hochgerechnet und kamen auf 40 Prozent.

Schürz: Das ist eine Schätzung – und als solche mit hoher Unsicherheit verbunden. Ein Ersatz für harte Fakten ist das nicht. Bedeutender als diese Zahlen ist auch: Woher kommt der Reichtum? Wer sind die Reichen? Und wofür wird der Reichtum verwendet? Es wäre deshalb wichtig, dass die Regierung verpflichtend einen jährlichen Reichtumsbericht vorlegt.

STANDARD: Wie groß muss die Ungleichheit sein, dass die Gesellschaft kippt und zerbricht?

Schürz: Darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Bekannt ist, dass das oberste Prozent vor der Französischen Revolution 1789 einen Anteil von 60 Prozent des Vermögens hatte. Eine große Änderung hat der Umsturz aber nicht mit sich gebracht, eine solche hat es nur durch große Kriege gegeben. Für Österreich belegen die Befragungen der Nationalbank: Die Menschen wünschen sich eine viel egalitärere Gesellschaft. (Gerald John, 30.10.2017)