Melina Franz hat gerade ihr erstes Lehrjahr am Naturhistorischen Museum in Wien absolviert.

Foto: Vanessa Gaigg

Der Volksmund würde sagen, Franz stopft Tiere aus. Dabei stimmt das so gar nicht, es wird im Wesentlichen nur die Haut verwendet, die über ein Modell gezogen wird.

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Wien – Die Haut der Ratte liegt schlaff neben ihrem Fleisch. Sie hat einen Gelbstich vom Alkohol, in den sie über Nacht eingelegt war. Nur die kleinen Knochen sind noch dran. Eine Pfote steht leicht ab, es sieht so aus, als wollte sie noch ein letztes High Five geben. Melina Franz stülpt den noch innen liegenden Schädel nach außen und zeigt, dass er leer ist. Das Gehirn hat sie bereits entfernt. "Die Haut von einem Tier abzuziehen ist eine empfindliche Sache", sagt die 24-Jährige.

Mit dem Seziermesser hat sie unabsichtlich ein kleines Loch in die Haut geschnitten. Vögel sind einfacher, sie verzeihen mehr. "Durch die Federn kann man Fehler leichter vertuschen." Einer Krähe hat sie einmal ein Bein ausgerissen. Als sie fertig war, hat sie die Krähe einfach so hingesetzt, als wäre sie eingekuschelt. Das oberste Ziel ist immer, dass das Tier lebendig aussieht.

Allein auf weiter Flur

Franz hat gerade ihr erstes Lehrjahr als Tierpräparatorin am Naturhistorischen Museum in Wien hinter sich. Weil sie sich so für den Beruf begeistert, hat sie davor schon zwei Praktika gemacht und ist außerdem jeden Mittwochnachmittag hergekommen, um ehrenamtlich mitzuhelfen. Sie hatte auch schon mit Tieren zu tun, die ausgestorben oder gefährdet sind. Sie konnte bei der Bearbeitung eines Mammuts mithelfen, gerade arbeitet sie an der Restaurierung eines Mondfisches mit. Von einem Tapir und einer Gazelle hat sie schon einmal die Haut abgezogen.

Auch sie selbst gehört zu einer seltenen Spezies: In ihrem Jahrgang ist Franz der einzige Tierpräparationslehrling im deutschsprachigen Raum. In Deutschland kann man an einer Fachschule in Bochum Präparation lernen, das ist allerdings keine Lehre. Nachfrage gebe es genug, meint Robert Illek, Franz' Lehrlingsausbildner: "Es gibt viel Interesse von der Jugend." Besonders von Mädchen. Die Präparationsunternehmen würden nur keine Lehrlinge ausbilden wollen, was Illek "tragisch" findet und nur schwer nachvollziehen kann: "Ich habe eigentlich fast nur gute Erfahrungen gemacht." Woher die Unternehmen ihre Leute dann herkriegen? "Viele Tätigkeiten werden auf Hilfsarbeiter abgeschoben." Es gebe auch insgesamt nicht mehr so viele Präparatoren, obwohl die Nachfrage da wäre.

Auf in die Nische

Die wenigsten beginnen einer Präparatorlehre direkt nach dem Pflichtschulabschluss, erzählt Illek. Zwar hat der Berufsorientierungstest in der Schule bei Franz "Tierpräparatorin" an erster Stelle ausgespuckt. Mit 14 habe sie sich aber gedacht: "Was fange ich damit an? Und was heißt das überhaupt?" Interessiert habe es sie aber schon irgendwie. Sie ist trotzdem zuerst auf das Gymnasium, später auf eine Medienschule gegangen, wo sie mit Matura abgeschlossen hat. Erst dann hat sie sich der Lehre zugewandt. Jetzt hat sie das Gefühl, dort zu sein, wo sie hingehört. Bei den meisten laufe es so oder so ähnlich ab, erzählt Illek. Er unterrichtet auch an der Berufsschule für Tierpräparatoren in Wien: "Viele machen vorher eine Ausbildung und erst dann, was sie wirklich wollen. Das ist der Klassiker." Die meisten seien mit Anfang oder Mitte zwanzig deutlich älter als der durchschnittliche Lehrling.

Der Volksmund würde sagen, Franz stopft Tiere aus. Dabei stimmt das so gar nicht, es wird im Wesentlichen nur die Haut verwendet, die über ein Modell gezogen wird. Drähte werden entlang der Knochen befestigt, um den Körper möglichst detailgetreu nachstellen zu können. Das Fleisch und die Organe werden entfernt. Da lässt man sich manchmal durch Käfer unterstützen und legt die Körperteile in eine Truhe, bis das Fleisch abgeknabbert ist. Man arbeitet mit Holzwolle und Watte, um den Körper des Tieres nachzustellen. Es ist wichtig, einen Plan zu haben, bevor man anfängt, sagt Franz. Damit man wisse, worauf man hinarbeitet.

"Präparation ist ein Allrounderberuf", sagt Illek. Über Biologie, Materialkunde bis hin zu einer großen Portion Kreativität brauche man viel Wissen und Talente. Eine der wichtigsten Eigenschaften sei Erfindergeist, meint Illek: "Wenn der Chef kommt und sagt, er will ein halbes Mammut haben, unter dem die Leute durchgehen können, dann gibt es dafür kein Lehrbuch." Wie man zur Umsetzung gelangt, sei aber nicht minder wichtig: So wie jeder Tischler wissen müsse, welches Holz er verwendet, müsse man wissen, zu welchem Material man greife. Es gebe aber jedenfalls Unterschiede zwischen der Tierpräparation für Museen und jener für Privatkunden: "Dort geht es vor allem um Schnelligkeit", sagt der Ausbildner.

Eine Frage der Moral

Fühlt man sich eigentlich bei jedem Tier, das man präpariert, gleich? "Ich habe einmal einen Pferdeschädel mit Einschussloch gehabt", erzählt Franz. Beim Abziehen habe sie die Knochensplitter gesehen. "Da hatte ich dann eine Art Rückblick auf das Leben des Pferdes, und das war schon ungut." Manchmal mache es schon einen Unterschied, sagt auch der Profi, der ein Schlüsselerlebnis mit einem Orang-Utan hatte: "Ich habe die Haut abgezogen, und er war wie ein Mensch. Da ist es mir nicht so gut gegangen." Zusätzlich ist ein schlechtes Gewissen dazugekommen, weil Illek wusste, woher der Affe kam und dass er sein Leben in einem kleinen Käfig verbringen musste. Entgegen herkömmlichen Annahmen seien die meisten Tierpräparatoren durchaus tierlieb, sagt Illek. Er bezeichnet sich als Tierschützer "aus voller Überzeugung". Auch Franz werde oft gefragt: "Was, du bringst Tiere um?" Das könnte sie aber nicht, sagt sie.

Mit illegal geschossenen Tieren hat man im Museum keine Berührungspunkte. Am freien Markt komme man damit aber durchaus in Kontakt, erzählt Illek, der früher selbst in der Privatwirtschaft gearbeitet hat. Artenschutzbestimmungen seien in der Schule deshalb großes Thema. Das große Geld stecke aber weder im wissenschaftlichen Bereich noch in durchschnittlichen Aufträgen: Für eine Krähe – Arbeitszeit sechs bis acht Stunden – bekäme man ungefähr 200 Euro. "Verdienen tut man mit den Viechern aus Afrika", sagt Illek.

Traumberuf gefunden

Heute präpariert Franz zum ersten Mal ein Säugetier allein. Die Ratte, die vor Franz liegt, dient zur Übung. Beim Ausnehmen der Tiere ist der Geruch oft süßlich, erzählt Franz. "Man gewöhnt sich daran." Ein sensibler Magen ist, besonders im Sommer, nicht von Vorteil. Auf ihrem Arbeitsplatz liegen Google-Fotos von Ratten, daneben eine Skizze. Im besten Fall hätte sie auch noch Fotos der Ratte gemacht, bevor sie sie aufgeschnitten hat. "So viele Referenzen wie möglich machen", sagt Franz und lacht. Das bekommen sie immer in der Berufsschule zu hören. In einem durchsichtigen Behälter liegen schwarze Knopfaugen aus Glas und warten darauf, eingesetzt zu werden.

Franz möchte von diesem Beruf nicht mehr weg. Wenn es sein muss, auch in die Privatwirtschaft. Auch Deutschland und die Schweiz stehen nicht außer Diskussion. Ihr Ausbildner bescheinigt ihr "großes Talent, ohne Zweifel". Eventuell geht eine Kollegin im Museum in Pension, das müsse man aber noch sehen. Zwei Jahre sind noch Zeit. (Vanessa Gaigg, 6.11.2017)