Ein Kaffee um Mitternacht und schlafen können wie ein Baby: Das sind Menschen mit einem hochaktiven CYPA1A2-System.

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Wien – Die Situation nach einem Abendessen kennt jeder. Auf die Frage "Kaffee?" gibt es zwei Antworten. Die eine: "Ja gerne, unbedingt," die andere: "Nein, um Gottes willen, wenn ich jetzt einen Kaffee trinke, mache ich die ganze Nacht kein Auge zu."

Tatsache ist: "Koffein ist eine pharmakologisch wirksame Substanz", sagt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der Med-Uni Wien, die Wirkung lasse sich objektiv in Tests, die Muskelleistung oder Aufmerksamkeit untersuchen, messen. Koffein ist ein Stimulans und lässt Rezeptoren anspringen. Das hat den sensorischen Effekt, dass man sich wacher fühlt, kann aber auch motorische Auswirkungen haben, etwa ein tatsächliches Zittern bei sehr hohen Dosen zum Beispiel.

So weit, so bekannt. Allein: Der Körper hat für sämtliche Substanzen, die von außen kommen, Abbausysteme, um den Normalzustand des Organismus wiederherzustellen. Für Koffein ist das Enzymsystem Cytochrom P450 1A2 (CYP1A2) zuständig. Es ist eines von zwei Dutzend Regulierungsschienen im Körper, die man sich wie eine Art Kläranlage vorstellen kann. Würde Koffein nicht abgebaut werden können, "wäre man mit einer Dosis Koffein für immer wach", so Zeitlinger, allerdings können die verantwortlichen Enzymsysteme von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Wie stark ausgeprägt CYP 1A2 ist, hängt von der genetischen Grundkonstellation ab.

Hochflexibel und wandelbar

Durch diese genetischen Unterschiede, Polymorphismen genannt, kann die Aktivität des Enzyms zwischen zehn und 200 Prozent schwanken. Dementsprechend bauen Menschen mit hoher Enzymaktivität den Kaffee so schnell ab, dass das Koffein scheinbar kaum Wirkung hat. "Fast Metabolizer" nennt sie Zeitlinger. Diese Gruppe kann nach einem Espresso wunderbar einschlafen – im Gegensatz zu den "Slow Metabolizern", die das Koffein und seine Wirkung viel länger im Körper behalten.

Das Enzymsystem CYP1A2 ist jedoch nicht allein für den Abbau von Koffein zuständig, auch eine ganze Reihe von Medikamenten werden über diese Schiene verstoffwechselt, etwa eine Reihe von Schmerzmitteln, Antidepressiva, Lokalanästhetika (die Spritze beim Zahnarzt zum Beispiel), Immunsuppressiva oder Krebsmedikamente. "Eine Analogie zwischen der Wirkung von Kaffee und Medikamenten ist aber in dieser simplen Form nicht möglich", betont Zeitlinger und erklärt auch, warum. "Der Organismus ist ein diffizil ausgeklügeltes System, das durch Einflüsse von außen auch wandelbar ist", sagt er und meint den Gewöhnungseffekt.

Unabhängig vom Abbau des Koffeins gewöhnen sich die Rezeptoren im Körper nämlich an hohe Dosen von Koffein. Die stimulierende Wirkung nimmt dadurch ab. Zudem macht Koffein in einem milden Ausmaß auch abhängig. Das merken viele an den Entzugserscheinungen, die bei Koffeinverzicht auftreten, etwa Kopfweh oder Gereiztheit. Zudem unterliegt der menschliche Körper zirkadianen Rhythmen: Ein Kaffee in der Früh kann eine andere Wirkung haben als ein Kaffee am Abend, "weil der allgemeine Erregungszustand über den Tag variiert", sagt Zeitlinger. Wie vieles im Leben ist auch die Wirkung von Koffein eine Frage der Dosis. Das größte Missverständnis sei, zu glauben, dass eine Tasse Espresso mehr Koffein enthalte als ein Häferl Filterkaffee. "Die Leute trinken oft literweise Kaffee, ein kleiner Espresso enthält im Vergleich eine viel geringere Dosis."

Keine Sorgen

Zudem sind die Abbausysteme des Körpers vielen unterschiedlichen Faktoren ausgesetzt und beeinflussen sich gegenseitig – "Hemmung und Induktion", nennt es Zeitlinger. Die gibt es zum Beispiel zwischen Nikotin und Koffein. Wer raucht, baut Koffein schneller ab, daher können Raucher mehr Kaffee trinken bzw. Raucher brauchen mehr Kaffee, um die aufputschende Wirkung zu spüren. Auch gegrilltes Fleisch hat dieselbe Wirkung. "Man vermutet, dass die beim Grillen entstehenden Stoffe die Enzymschiene CYP1A2 beeinflussen können", so Zeitlinger, allerdings ist das interessanterweise auch bei Kohl und Brokkoli der Fall.

Wer hingegen das CYP1A2-Abbausystem stoppen und damit den Kaffee in seiner Wirkung verstärken will, könnte diese Wirkung zumindest theoretisch durch Grapefruitsaft erreichen. Es ist ein Hemmstoff, genauso wie Johanniskraut, das als pflanzliches Mittel gegen Depressionen zum Einsatz kommt. "Es wäre allerdings eine dauerhafte Exposition notwendig", sagt Zeitlinger – niemand, der ein Steak isst, braucht daher zu fürchten, dass der Espresso danach nicht wirkt.

Was Medikamente betrifft, gilt Ähnliches: "Niemand, der nach Kaffee nicht schlafen kann, braucht sich genetisch untersuchen zu lassen", betont Zeitlinger, weil so ein Test keine Aussagekraft für eine Wirksamkeit hätte. (Karin Pollack, 4.11.2017)