Ursula Strauss konfrontiert am Mittwoch das TV-Publikum in dem Film "Meine fremde Freundin" mit dem Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. 20.15 Uhr, ORF und ARD.

Wenn sie Hilfe beim Umzug brauche, stehe er ihr gern zu Diensten, sagt der Kollege – und mit Blick auf das Dekolleté der neuen Mitarbeiterin: "Sie tragen ja so schon recht schwer." Mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz konfrontiert Ursula Strauss in dem Film "Meine fremde Freundin" (Mittwoch, 20.15 Uhr, ORF) die Zuseher. Ihr selbst sind Übergriffe privat schon oft, im Beruf nur einmal passiert, sagt die Schauspielerin. Beim Interview saß ihr Bruder, der Musiker Michael Strauss, dabei – und brachte sich zweimal ein.

STANDARD: Welches Statement ist Ihnen in seiner Aussage näher: #metoo oder #notme?

Strauss: #metoo, eindeutig. Ich verstehe auch gar nicht, was man mit #notme sagen möchte. Was soll diese Verharmlosung? Es ist ja schön, wenn jemandem noch nie ein Übergriff passiert ist. Die Person kann sich glücklich schätzen, wenn sie mit solchen Abgründen noch nicht konfrontiert worden ist.

STANDARD: "Die Person" will sich anscheinend nicht in der Opferrolle sehen, da ist sie ja nicht die Einzige.

Strauss: Wenn man Opfer ist, darf man aber schon auch sagen, das hat wehgetan, oder? Irgendwann muss der Zeitpunkt gekommen sein, an dem Frauen in einer großen Öffentlichkeit wahrgenommen werden und sich mit ihrem Schmerz positionieren dürfen. Bei einem Missbrauch haben weibliche Körper eine Art kollektives Gedächtnis. Wenn dir eine Frau erzählt, was ihr passiert ist, dann spürst du ihren Schmerz. Sexueller Missbrauch ist eine große Verletzung. Die Zeit, in der Frauen gleichberechtigter sind, ein eigenes Konto haben dürfen, selbst bestimmen dürfen, welchen Beruf sie ausüben – das gibt es noch keine Jahrtausende. Von der Gleichstellung von Männern und Frauen sind wir noch weit entfernt. Wenn ein Kollektiv an Frauen aufsteht und sagt, mir reicht's, ich habe die Schnauze voll, und ich traue mich jetzt öffentlich, über meine Verletzung zu sprechen, dann muss man diesen Schmerz schon auch einmal stehen lassen dürfen. Das muss eine Gesellschaft aushalten.

STANDARD: Nina Proll postet, ihr ist das noch nie passiert, sie kann damit umgehen, weil sie eine starke Frau ist.

Strauss: Gratuliere. Ich freue mich für sie. Nur, was sagt sie damit den Frauen, die nicht so stark sind, die sich nicht selbst beschützen können? Die in Machtstrukturen gefangen sind, aus denen man nicht mit einem Nein ausbrechen kann? Ihre Aussage ist kontraproduktiv und zynisch geschrieben. Ich denke, eine der Schwierigkeiten daran ist: Wenn man als Mensch, der eine gewisse Reichweite hat, einen Beitrag zu einem so heiklen Thema in der Öffentlichkeit zur Diskussion stellt, dann sollte man sich vorher genauer überlegen, wie man welche Inhalte transportiert.

STANDARD: Ist Solidarität unter Frauen nicht möglich?

Strauss: Solidarität unter Frauen ist natürlich möglich. Aber Solidarität kommt aus dem Herzen und fügt sich keinem Gruppenzwang. Wenn mir noch nie so etwas passiert wäre, dann würde ich dazu nichts sagen. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn Frauen durch ihre eigene Haltung geschützt wären, die ihnen da sagt, ich möchte gerne erfolgreich sein wegen meines Könnens und wegen der Art und Weise, wie ich als Mensch bin, wegen meiner Klugheit oder meines Talents oder der Kombination aus allem. Wenn ein Nein genügt oder ein "Das geht mir zu weit" respektiert werden würde. Aber das ist nicht immer so leicht, und oft denkt man gerade in unserem Beruf, dass es dazugehört, die eigenen Grenzen zu überschreiten. Es ist sehr schwierig und dauert eine Zeit, bis man sich so gut kennt und quasi fest auf den eigenen zwei Beinen steht. Aber das gibt niemandem das Recht, diese Schwäche auszunutzen.

STANDARD: Sie sprechen Machtkonstellationen an. Denen sehen sich auch Schauspielerinnen im Beruf ausgesetzt.

Strauss: Übergriffe haben etwas mit Machtkonstellationen zu tun, die bestehen aber sowieso zwischen Männern und Frauen. Ob das jetzt im Beruf ist oder in der Straßenbahn, wo hinter einem 20-jährigen Mädel ein Prügel von einem Mann steht und ihr an den Hintern fasst, da sind die Machtverhältnisse auch relativ klar. Die Menschen in der Filmbranche, mit denen ich bisher gearbeitet habe, machen Filme mit einem gewissen Anspruch auf eine Wahrhaftigkeit und pflegen einen respektvollen Umgang mit dem Leben.

STANDARD: Es heißt, die Strukturen in der Künstlerszene begünstigen sexuelle Übergriffe. Ist das so?

Strauss: Jedes Schicksal ist ein Einzelschicksal, und es ist wieder leider nicht nur schwarz oder weiß. Natürlich empfindet jeder Mensch einen Übergriff anders, das macht es auch so
schwer, darüber zu sprechen. Nichts spricht gegen einen Flirt, Männer und Frauen sind sexuelle Wesen. Da ist es doch schön, wenn sie eine gewisse Spannung im Umgang miteinander finden. Wenn aber Druck entsteht und der Flirt in eine Verpflichtung hineinwandert, wird es schwierig, sowohl für Männer als auch für Frauen.

STANDARD: Caroline Peters sagt, sie hat noch keinen Regisseur am Theater erlebt, der nicht wollte, dass nackt geprobt wird. Ist Ihnen das bekannt?

Strauss: Ich war schon lange nicht mehr an großen Häusern, aber klar, es wird dir als Regiemethode verkauft, ist aber auch eine chauvinistische Art, mit "Material" umzugehen. Ich habe viele Übergriffe erlebt, aber bis auf ein einziges Mal nicht im Beruf. Dieses eine Mal war mein erstes Auslandsengagement am Theater, ich war 19 und hatte es mit einem Schauspieler zu tun, der die Situation ausnützte. Die Schauspielerei ist ein sehr körperlicher Beruf, da stellt sich zum Beispiel die Frage, wie man auf einen Busen greift. Muss man so fest hinpacken, dass es wehtut? Muss man das Hemd wirklich aufreißen, oder reicht es, wenn man das einfach nur spielt? Ich traute mir nichts zu sagen, und während der Vorstellung kannst du dich sowieso nicht wehren. Zum Glück hatte ich einen Kollegen, der mich beschützte, der die zerrissene Bluse zunähte und sich in diesen Situationen vor mich stellte. Nur deshalb war ich dort sicher und konnte relativ schnell eine Haltung entwickeln.

STANDARD: Manche würden so etwas mit der "Erotik" des Spielens erklären und sich auf Körperlichkeit beziehen.

Strauss: Die Erotik des Spielens hat selten etwas mit Sex, Angreifen oder Küssen zu tun. Die Erotik des Spielens ist eine intellektuelle Erotik, als Weg, den man gemeinsam geht, wenn Szenen zu fliegen beginnen. Wenn man sich vertrauensvoll fallenlassen kann, weil man weiß, der Partner passt auf einen auf. Sexszenen sind das unsexieste, das es gibt. Es ist technisch, anstrengend, 50 Leute schauen zu. Das ist aber auch nicht die Debatte, die Debatte ist, wenn es nicht einvernehmlich passiert ...

Michael Strauss: Es muss genügen, wenn die Frau Nein sagt.

Ursula Strauss: Aber gesetzt den Fall, die Frau ist jung, will spielen, braucht die Rolle – dann ist es mit dem Neinsagen vielleicht nicht so leicht. Man ist von vielen Männern umgeben, die einem die Zurückhaltung als "uncool" und "Verkrampfung" attestieren. In diesem Beruf muss man offen sein und durchlässig. Man denkt also, man ist selber schuld daran, wenn man mit der "offenen Art" nicht umgehen kann. Da verschwimmen die Grenzen schnell.

Michael Strauss: Eigentlich sollten Männer #notme posten – nach dem Motto: Ich tue so etwas nicht.

Ursula Strauss: Genau, Männer, die sich mit den #metoo-Frauen solidarisieren – ein toller Gedanke!

STANDARD: Gibt es die Besetzungscouch?

Strauss: Die wird es schon geben, ich kenne sie aber nicht aus eigener Erfahrung.

STANDARD: Im Film "Meine fremde Freundin" geht es am Mittwoch um 20.15 Uhr in ORF und ARD auch um sexuellen Übergriff am Arbeitsplatz. Flotte Sprüche, lüsterne Blicke, eindeutige Angebote, so läuft es?

Strauss: Das hat mir an der Arbeit mit Stefan Krohmer so gut gefallen, weil es bei ihm dieses Schwarzweißdenken nicht gibt. Es gibt keine Verhaltensregeln, die genau besagen, so ist es erlaubt und so nicht. Jeder Mensch ist ein einzigartiges Universum für sich. Irgendwann geht es in dem Film nicht mehr um die Vergewaltigung, sondern um die Tatsache, dass ein übergriffiger Mann einfach an die falsche Frau geraten ist, und es geht um die Beziehung zwischen den Frauen. Die Geschichte funktioniert ja nur, weil die andere da ist, die Freundin, die begierig ist nach etwas Aufregung in ihrem Leben, die helfen will und ein Helfersyndrom hat. Valerie Niehaus sagte den schönen Satz: "Wir geben so oft unsere Integrität auf zugunsten von Harmonie." Das beschreibt so viel in diesem Film.

STANDARD: Die von Maria Furtwängler initiierte Studie bescheinigt Film und Fernsehen, sehr eingeschränkte Frauenbilder zu transportieren. Wie ist das in Ihrem Erfahrungsbereich bei den Rollenangeboten?

Strauss: Also alle Frauen in diesem Bereich, denke ich, wünschen sich mehr Geschichten über und mit Frauen. Das Frausein hört nämlich, das wissen vielleicht viele noch nicht, nicht mit 45 Jahren auf, es gibt tatsächlich auch Frauen, die älter sind und trotzdem weiterleben. Frauen, die spannende Haltungen haben, weil sie schon mehr wissen über dieses Leben. Weil die innere Haltung stärker wird durch die Oberfläche, die nicht mehr so glatt durchscheint. Es ist sehr oft leider noch immer der äußere Schein, der wichtiger ist. Ich nehme an, es wird noch einige Zeit dauern, bis sich das ändert. Aber wir arbeiten ständig daran.

STANDARD: Nach welchen Kriterien wählen Sie eine Rolle aus?

Strauss: Das Wichtigste ist erst einmal das Buch. Ein schlechtes Buch kann der beste Regisseur nicht retten. Natürlich ist wichtig, wer diese Geschichte dann erzählt, also wer führt Regie, und wer ist für die Bildumsetzung verantwortlich.

STANDARD: Macht es für Sie einen Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann Regie führt? Atmosphärisch, fachlich?

Strauss: Ob eine Frau oder ein Mann Regie führt, macht eventuell atmosphärisch einen Unterschied. Aber auch nur eventuell, denn beim Filmemachen gibt es eine klare Hierarchie, und so sehr man dann am Set im besten Fall das Gefühl einer Kurzfamilie haben kann, so ist es doch eindeutig die Regie, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Ob Frau oder Mann – du bist derjenige, der alles unter Kontrolle haben muss, alles sehen, hören und spüren muss, im richtigen Moment Entscheidungen treffen muss, die hinterher aufgehen oder eben auch nicht. Man muss sehr stark sein, um all das zu erfüllen. Das ist keine Geschlechter-, sondern eine Talent- und Charakterfrage.

STANDARD: Ist selber Regie zu führen oder Drehbuch zu schreiben eine Option?

Strauss: Ich weiß nicht, ob es das Richtige für mich wäre – aber es wäre sehr reizvoll, es herauszufinden. (Doris Priesching, 5.11.2017)