Andrea Illy verzichtet auf Schauspieler als Testimonials. Er ist Präsident und Werbegesicht des Unternehmens.

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In der Tasse bleibt die Crema besser bestehen als im Pappbecher.

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Der 1964 geborene Andrea Illy wurde einst mit nur 33 Jahren an die Spitze des Triestiner Familienunternehmens berufen – als jüngstes von vier Geschwistern. Dass die Dosen mit dem markanten roten Logo heute weltweit als Sinnbild für herausragenden Kaffee gelten, ist ganz wesentlich sein Verdienst. Der drahtige Unternehmer mit den stets messerscharf geschnittenen Anzügen war zu Gast bei der alljährlichen Prämierung der besten Kaffeebauern von Illy, die im Herbst in New York stattfand. Dort haben wir ihn getroffen.

STANDARD: Illy-Kaffee steht für Triestiner Kaffeetradition, in Ihrem neuen Buch aber zeichnen Sie den Weg Ihrer Familie von Siebenbürgen über Wien ans Mittelmeer nach. Eine klassische kakanische Karriere?

Andrea Illy: Durchaus. Bevor mein Großvater Francesco Illy nach Triest kam, war er vom damals ungarischen Timișoara nach Wien aufgebrochen, wo er es als ganz junger Mann zum Buchhalter von zwei Unternehmen schaffte. Vor allem aber genoss er das gesellschaftliche Leben in den Wiener Kaffeehäusern – und entdeckte hier seine Liebe zu Kaffee. Nach Triest kam er im Zuge des Ersten Weltkriegs als Soldat der k. u. k. Armee. Er verliebte sich in die Stadt und beschloss, sich nach dem Ende des Krieges hier niederzulassen.

STANDARD: Die Wiener Kaffeehauskultur hat aber mit dem, was in Triest gepflogen wird, nur sehr mittelbar zu tun.

Illy: Wien und Triest beziehungsweise Venedig waren aber jene Orte, über die Kaffee einst über die Türkei überhaupt nach Europa gekommen ist. Hier wie da wurde er als Zeichen der Kultur binnen kürzester Zeit zum Getränk der besseren Gesellschaft. Und in beiden Städten wurden Kaffeehäuser zu Zentren der Kunst, des gesellschaftlichen Diskurses und, natürlich, auch der Politik. Kulturgeschichtlich wurden Wien und Venedig damit zu Vorbildern für ganz Europa. Auch die Art, Kaffee zu genießen, wurde damit für den Rest der westlichen Welt festgeschrieben.

STANDARD: Aber auf ziemlich verschiedene Art und Weise.

Illy: Absolut. Aus Wien kommt die Idee, Kaffee als Heißgetränk zu konsumieren, mit oder ohne Milch. In Venedig hingegen wird er seit jeher als konzentrierter Auszug genossen, was schlussendlich zur Entwicklung des Espressos geführt hat. Illy darf sich doppelt glücklich schätzen, in beiden Kulturen verankert zu sein: Wir sind Italiener mit starken altösterreichischen Wurzeln. Das trifft auch auf unsere Heimatstadt Triest zu, die über Jahrhunderte österreichisch war.

STANDARD: Derzeit scheint die italienische Art, Kaffee zu trinken, international begehrenswerter zu sein. Was ist das Geheimnis des italienischen "way of enjoyment"?

Illy: Wir sind nun einmal das Heimatland der Schönheit. Das lässt sich schon an der Geografie erkennen: Italien hat das Glück, im Zentrum des Mittelmeers zu liegen. Und das Mittelmeer ist die Wiege der westlichen Zivilisation. Unsere Geschichte spannt sich über drei Jahrtausende, in denen die brillantesten Köpfe ihrer Zeit stets nach Italien geschaut haben und nach Italien gekommen sind, um die Schönheit des Landes zu bewundern, zu genießen und sich an ihr zu inspirieren. Damit aber haben sie natürlich auch unsere Kultur bereichert. Und dieser Reichtum inspiriert uns bis heute und prägt einen speziellen Lebensstil, den die Menschen rund um den Erdball als begehrenswert empfinden. Das hat auch unsere Küche definiert. Denken Sie nur an Käse und Milchprodukte: jahrhundertealte Tradition und Know-how, die bis heute gepflegt und weitergegeben werden.

STANDARD: Aber es gibt Anzeichen, dass sie zu einem Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden droht. Alle paar Jahre bricht ein neuer Skandal los, ob bei Mozzarella, beim Olivenöl oder sonst wo.

Illy: Da haben Sie recht. Aber seien wir ehrlich: Solche Skandale gibt es überall, und ich behaupte, dass sie in Italien weniger oft vorkommen als anderswo.

STANDARD: Merken wir sie uns nur besser, weil wir die Produkte so lieben?

Illy: Das kann gut sein. Vor allem aber ist es so, dass wir Italiener unsere Lehren daraus ziehen: Wenn eine Branche von einem Skandal erschüttert wird, dann gibt es rigorose Konsequenzen mit dem Effekt, dass es danach nicht mehr passiert. Ich denke, da sind wir ziemlich vertrauenswürdig.

STANDARD: Warum kann das Kulturprodukt Espressobar nicht global exportiert werden? Warum müssen wir stattdessen mit Coffee-Shops vorliebnehmen?

Illy: Wir sind sehr aktiv dabei, das zu exportieren. Allein Illy hat 250 Espressobars in aller Welt, und wir eröffnen pro Jahr 40 weitere. Noch gibt es keine in Österreich, aber das wird sich bald ändern. Man darf nicht vergessen, dass zwischen italienischen Unternehmen und jenen in Amerika ein wesentlicher Größenunterschied besteht. Wer über einen so gigantischen Heimmarkt verfügt wie Amerika, der hat es mit der globalen Dominanz leichter. Schauen Sie sich das Kino an: Der europäische Film wird von Hollywood schon aufgrund der Größe an die Wand gedrückt. Aber uns als Familienunternehmen ist es nie um globale Dominanz gegangen. Wir waren immer auf beste Qualität fokussiert, in dieser Nische geht es uns sehr gut.

STANDARD: Jetzt eröffnet Starbucks sogar schon in Italien. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Illy: In Mailand soll ein Lokal entstehen. Ich sehe das ganz entspannt. Immerhin ist Illy auch bereits seit 35 Jahren in den Staaten erfolgreich. Und Italien ist zweifellos einer der dynamischsten Kaffeemärkte der Welt, mit extrem hohen Ansprüchen. Hier kommt laut Statistik eine Espressobar auf 400 Einwohner. Wie viele Neue wollen Sie da noch dazupacken? Aber ich glaube durchaus, dass ein neuer Einfluss und frische Konkurrenz die Kreativität der individuellen Bars stimulieren würden.

STANDARD: Soll man Kaffee aus einem Pappbecher trinken, oder ist das schlecht für die Qualität?

Illy: Nein! Einerseits ist er zu heiß, was dazu führt, dass man sich die Zunge verbrennt, andererseits beeinflusst der Pappbecher durch seine Form den Körper und die Crema des Espressos auf ungünstige Weise. Eine gute Espressotasse ist ein sehr präzise gestaltetes Werkzeug, um den Kaffee in bestmöglicher Verfassung auf die Zunge zu transportieren. Die Crema bleibt in einer guten Tasse viel besser bestehen als in einem Pappbecher.

STANDARD: Und das wirkt sich auf den Geschmack aus?

Illy: Und wie! In der Crema konzentrieren sich die flüchtigen Aromen, sie ist eine Emulsion, die sich wie eine köstliche Schicht über die Zunge legt. Trifft die Crema auf den Boden eines flachen Gefäßes wie beim Pappbecher, wird sie zerstört. Die beste Art, einen Espresso in die Tasse zu lassen, ist deshalb, ihn sanft entlang der Tassenwand einfließen zu lassen.

STANDARD: Es gibt Coffee-Nerds, die allen Ernstes erklären, der beste Kaffee komme mittlerweile längst nicht mehr aus Italien, sondern aus Neuseeland oder Australien. Beleidigt Sie das?

Illy: Ach. Australien ist berühmt dafür, fantastische Baristas hervorzubringen, die mit unglaublicher Liebe zum Detail Kaffee machen, und eine sehr lebendige, begeisterte Kaffeekultur zu pflegen. Da kann ein gewisser italienischer Einfluss hineinspielen, schließlich hat Australien zigtausende italienische Auswanderer aufgenommen. Und es gibt herausragende Mikroröstereien australischer Start-ups, die in anderen Regionen Asiens eröffnen. Das tut der Hebung der Kaffeekultur sehr gut.

STANDARD: Die leeren Illy-Dosen gelten als ideale Behälter für allerhand Krimskrams. Wofür werden sie im Haushalt von Andrea Illy herangezogen?

Illy: Die großen Dosen sind ideal, um verwendete Kapseln von meiner "Iperespresso"-Maschine zu sammeln, die kleinen habe ich in Verwendung, um Stifte zu bündeln, für Schrauben in der Werkstatt etc. Wann immer ich einen praktischen, verschließbaren Container brauche, kommt eine der leeren Dosen dran. Wobei ich fast ein bisschen schlechtes Gewissen habe – die Dosen sind schließlich zu hundert Prozent recyclingfähig. (Severin Corti, RONDO, 9.1.2018)

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