Die Grünen müssen sich neu aufstellen – zwangsläufig. Nach dem vor allem für sie selbst überraschenden Rausflug aus dem Parlament ist nicht nur eine Sanierung notwendig geworden, sondern auch eine grundsätzliche Neuausrichtung, sowohl personell wie auch inhaltlich, das mag Hand in Hand gehen.

Bei dieser Neuaufstellung stehen sich die Grünen derzeit selbst massiv im Weg. Maria Vassilakou ist dabei eine zentrale Figur. Sie ist Vizebürgermeisterin in Wien und Chefin der in absoluten Zahlen stärksten Landesgruppe – und eine Politikerin, die so stark polarisiert wie keine andere in Österreich. Dass sie neben Interimsparteichef Werner Kogler den Selbstfindungsprozess der Grünen tragen soll, ist also so logisch wie absurd.

Wien ist immer noch die wichtigste Bastion der Grünen, aber Vassilakou selbst wird weder die persönliche noch die politische Kraft haben, den Erneuerungsprozess voranzutreiben und nach außen hin darzustellen. Zumal sie auch intern höchst umstritten ist. Dass nun eine aufständische Gruppe aus den eigenen Reihen, die zwar Argumente hat, vor allem aber von einem querulatorischen Eifer angetrieben wird, die Demontage von Vassilakou mit einem Abwahlantrag auf öffentlicher Bühne zelebriert, schadet der gesamten Bewegung. Die als Ruine verbliebene Bundespartei ist mangels Autorität nicht mehr in der Lage, hier einzugreifen. Das festigt genau jenes Bild von zerstrittenem Haufen und Chaotentruppe, das auch zum jüngsten Wahldesaster beigetragen hat.

Die Grünen müssten sich jetzt über die Länder erneuern, um auch auf Bundesebene wieder Fuß fassen zu können. Die Konkurrenz durch die Liste Pilz ist nur vorläufig gebannt, gerade in Wien könnte 2020, wenn denn überhaupt so spät gewählt wird, große Gefahr drohen. Wahrscheinlich ist, dass die rot-grüne Koalition in Wien zerbricht und es zu baldigen Neuwahlen kommt. Anstatt eine geordnete Übergabe zu planen, setzt bei den Grünen in Wien aber das große Hauen und Stechen ein. Da stehen persönliche Animositäten und die Egobefriedigung Einzelner immer noch über einem strategischen Plan und einem gemeinsamen Ziel. Der Selbstzerstörungstrieb war durch das jüngste Wahlergebnis offenbar nicht kleinzukriegen.

In vielen grundsätzlichen Fragen haben die Grünen recht. Das Eintreten für Menschenrechte, der Kampf für soziale Gerechtigkeit und der Klimaschutz sind Themen, die für die Gesellschaft essenzielle Bedeutung haben. Dass die Grünen die Guten sind, ist ihnen letztlich aber nicht gut bekommen: Die moralische Überlegenheit, die sie vor sich hergetragen haben, hat es vielen Sympathisanten schwergemacht, ihnen gerne zu folgen. In manchen Fragen haben sie sich verzettelt, waren zu kleinlich oder zu belehrend, dazu sind viele handwerkliche Fehler passiert, gerade in Wien.

Also: Selber schuld. Aber nur zum Teil. Grüne, Frauen, Feministinnen noch dazu, das löst bei überraschend vielen Menschen einen Reiz aus, der dazu führt, dass über Proponentinnen, gerne als GrünInnen lächerlich gemacht oder als Kampflesben diffamiert, in den sozialen Netzwerken und Onlineforen der Medien eine Welle des Hasses hereinbricht, die einem Angst machen muss. Das ist schwer auszuhalten, in erster Linie für die Betroffenen. Da müssen sich nicht nur die Grünen etwas überlegen, da muss sich die Zivilgesellschaft, da müssen sich auch die Medien etwas überlegen. (Michael Völker, 9.11.2017)